So viel Kritik muss sein:Jan-Paul Koopmann über die Ausstellung „Lust for Life“ im Kubo
: Etwas viel besseres als der Tod

Dizzy Face Foto: Claudia Christoffel/Kubo

Übersehen kann man diese kleine Arbeit ganz leicht – sie wieder vergessen hingegen gar nicht. „Rezidiv“: Das Wort steht irgendwo in fast Weiß auf der ganz weißen Wand der Galerie Mitte. Es ist so ein Horror-Schriftzug mit nach unten verlaufenden Buchstaben, typografisch irgendwo zwischen Gruselcomic, dem Logo einer Black-Metal-Band und Rocky Horror Picture Show. Und vielleicht ist das auch die Botschaft: Mancher Horror ist so echt und so brutal, dass jede Subtilität eine Frechheit wäre. Denn das Rezidiv, um das es hier geht, ist ein Tumor, der wieder zurückkommen könnte.

Die Ausstellung „Lust for Life“ zeigt Arbeiten der Bremer Künstlerinnen Claudia Christoffel und Sirma Kekeç. Mit nur wenigen Tagen Abstand haben beide im Herbst 2015 die Diagnose Brustkrebs bekommen. Drei Jahre später Kunst darüber zu machen, ist ein gewaltiger Schritt. Aber abgesehen davon verrät die Ausstellung nichts über Belastung und Schmerz der Künstlerinnen, sondern hebt ab auf die ästhetische Ebene: Betroffenheitskunst will man nicht machen.

Die Schau zeigt folglich keine dieser bekannten Schreckbilder: Narben, Glatzen, Amputationen, weil sie die Hoffnung in den Mittelpunkt stellt, mit allen Ambivalenzen, die da beim Krebs dran hängen. So hängt da eine Art Sonnenrad, einen halben Meter im Durchmesser, in seiner Symme­trie erst beruhigend. Und dann doch wieder gar nicht: Das Bild ist arrangiert aus Spritzen, die der Arbeit auch den Titel geben: „TRENANTONE-Gyn 11,25 mg“. Ein Hemmstoff, der den Körper in eine Art simulierter Wechseljahre verlegt, um Krebs zu stoppen, der in Abhängigkeit von Östrogen wächst. Diese Spannung zwischen der Verletzungsmaschine Spritze und der Heilung, die sie bringen kann, zwischen Wirkung und Nebenwirkung, Quälerei und Hoffnung – die zieht sich mit einer Stringenz durch „Lust for Life“, die bei zwei so unterschiedlichen Künstlerinnen überrascht.

In einem Glaskasten liegen Fischknochen, in die Sirma Kekeç Bilder von Kohlsorten geritzt hat – und von weiblichen Piratinnen. Natürlich ist da ein Kontrast zwischen alltäglichem Haushaltskram hier und Subversion dort. Und trotzdem bleiben es zwei Naturbilder – mehr als bei Kohl auf Knochen geht das ja kaum –, die im sterilen Galerieraum eine fast unheimliche Einheit mit Claudia Christoffels Spritzen, Tabletten und Bestrahlungsmarkierungen eingehen. Auch hier: Mehr Anti-Natur als diese Pharmakolben im Kampf gegen Amok laufende Körper ist kaum denkbar.

Ihr Gemeinsames besteht aus der Reflexion einer Krankheit auf ästhetischer Ebene und diesem Perspektivwechsel: weg von der Opferfigur mit Todesurteil hin zu Konzepten, eben doch wieder auf die Beine zu kommen. Das gelingt bei den präzisen Miniaturen und Bildarbeiten im Ausstellungsraum genau so treffsicher wie bei den ausufernden popkulturellen Verweisen drumherum: Claudia Christoffel hat Freunde und Freundinnen aus der Kulturszene um Playlists gebeten.

Zehn Songs, die Kraft geben sollen und helfen, „schwere, lebensbedrohliche Krisen zu überstehen“. Sechs dieser Listen hängen nun in der Ausstellung – von Barockmusik bis zu psychedelischen Fluchtbewegungen. Zur Vernissage wird eine Auswahl dieser Stück zu hören sein – und zwar sehr laut, wie es heißt, weil am Samstag nicht trotz allem, sondern gerade jetzt getanzt werden wird.

„Lust for Life“, bis 18. November, Galerie Mitte im Kubo. Vernissage: Samstag, 6. 10., ab 19 Uhr