Was soll das?

Senat und Datenschützer streiten über den Einsatz der Gesichtserkennungssoftware „Videmo 360“. Was kann die Software und welche Gefahren birgt sie? Ein Faktencheck

Eine friedliche Möglichkeit, sich gegen Gesichtserkennung zu wehren: mit Ghandi Foto: Luis Eduardo Noriega/dpa

Von Maren Knödl

Seit mehreren Wochen streiten sich Innensenator Andy Grote (SPD) und der Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar über den Einsatz der Gesichtserkennungssoftware „Videmo 360“. Die Soko „Schwarzer Block“ hatte diese bei der Fahndung nach potenziellen G20-Tätern eingesetzt und will sie nun dauerhaft nutzen. Caspar hält das für gesetzeswidrig. Wenn der Streit vor Gericht geht, wäre es der erste Prozess zwischen der Datenschutzbehörde (die der Innenbehörde angegliedert ist) und einer anderen Behörde.

Der Konflikt

Bereits im Juli beanstandete Caspar den Einsatz der Software: Es fehle die rechtliche Grundlage. Der Einsatz sei nicht nur ein „Eingriff in das Grundrecht“ möglicher Täter, er greife auch in das Recht völlig Unbeteiligter ein, indem auch von ihnen Daten „aus allen erdenklichen Bereichen zusammengezogen und (…) verknüpft“ werden könnten. Über die Fahndung hinaus könnten so Profile identifizierter Personen erstellt werden, um sie bei späteren Fahndungen zu nutzen. Caspar spricht von einer „neuen Dimension der Kontrolle“.

Was kann die Software?

Nach dem aufwendigen Einspeisen von Bild- und Videomaterial erstellt sie „Gesichtstemplates“, also mathematische Modelle der Gesichter anhand wesentlicher Merkmale. Die Templates können mit anderen Aufnahmen abgeglichen werden und zeigen, wo und wann sich die erfasste Personen noch aufgehalten haben. Zusätzlich können Nutzer der Software die Personentemplates durch weitere Informationen anreichern und Profile so ergänzen. Technisch ist es möglich, dass die Software gespeicherte Gesichter dann auch in Live-Videomaterial erkennt und gegebenenfalls einen Alarm auf einem mobilen Gerät auslöst. Nach eigenen Angaben der Softwareentwickler seien durch die flexible Anwendung der Software „keine Grenzen gesetzt“.

Was steht dazu im Datenschutzgesetz?

Zum Umgang mit personenbezogenen Daten heißt es im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), Paragraf 48: „Die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten ist nur zulässig, wenn sie zur Aufgabenerfüllung unbedingt erforderlich ist“. Diesen Paragrafen nutzt die Behörde, um den Einsatz der Software zu rechtfertigen. Als Reaktion auf technischen Fortschritt und den Umgang mit immer mehr Daten hat das Bundesverfassungsgericht vor 35 Jahren das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ beschlossen. Demnach kann jeder selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten bestimmen.

Was kritisiert der Datenschutzbeauftragte?

Laut Caspar verbirgt sich hinter Paragraf 48 des BDSG eine Generalklausel. In einem 31-seitigen Bericht zum Einsatz von „Videmo 360“ kommt er zu dem Schluss, dass durch den Einsatz der Software die Grundrechte von Personen verletzt werden. So beschränke sie beispielsweise das Geheimhaltungsinteresse und die Verhaltensfreiheit.

Wie argumentiert Grote?

Grote weist die Beanstandung zurück. In einem Brief an Caspar schreibt er, sie beruhe „maßgeblich auf der Betrachtung rein hypothetischer Einsatzmöglichkeiten einer Gesichtsanalysesoftware, welche allerdings bei der Polizei Hamburg weder erfolgt noch geplant ist“.

Wie geht’s weiter?

Der Datenschützer kann den Einsatz der Software verbieten. Diese Kompetenz hatte er bislang nicht, er konnte nur beratend tätig sein. Erst seit der Umsetzung einer EU-Richtlinie kann er Verbote aussprechen. Grote forderte Caspar auf, seine Position noch mal zu überdenken, Caspar hat sich dazu noch nicht geäußert. Sollte er den Einsatz untersagen, wird der Senator wohl dagegen klagen. Ein solcher Prozess könnte als Grundlage für ähnliche Fälle in der Zukunft dienen.