Ins Kriegsland gezwungen

Niedersachsen schiebt nach Afghanistan ab

Am Dienstag gab es im Osten Afghanistans einen Bombenanschlag auf eine Wahlkampfveranstaltung, bei dem mindestens 13 Menschen starben. Die IS-Miliz bekannte sich zu dem Attentat. Wenige Stunden später startete in München ein Flugzeug, das 17 afghanische Geflüchtete nach Kabul brachte. Es war der 17. Abschiebeflug seit Beginn der Sammelabschiebungen nach Afghanistan im Dezember 2016. Erstmals war auch ein Flüchtling betroffen, der zuletzt in Niedersachsen lebte.

Der Mann war in Deutschland straffällig geworden und hatte eine Gefängnisstrafe verbüßt. Die niedersächsische Landesregierung hält seine Abschiebung deshalb für rechtmäßig. Das Innenministerium verweist auf seinen Erlass vom Juli 2017. Danach könnten Gefährder und Personen, die schwere Straftaten begangen haben, aus Niedersachsen nach Afghanistan abgeschoben werden. Der Erlass orientiere sich an der geltenden Beschlusslage der Innenministerkonferenz. Nach einem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul hatten die meisten Bundesländer die Abschiebungen im Sommer 2017 auf Gefährder, Straftäter und sogenannte Identitätstäuscher beschränkt. Nur Bayern gibt an, grundsätzlich alle ausreisepflichtigen Afghanen abzuschieben.

Aus Sicht von Niedersachsens Flüchtlingsrat und anderen Organisationen wie Pro Asyl dürfen grundsätzlich keine Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden. Eine Gefährdung durch den Krieg in Afghanistan bestehe schließlich auch für Personen, die in Deutschland straffällig geworden seien, sagt Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates. Man dürfe nicht die Gefahren für Leib und Leben in dem bürgerkriegsgeschüttelten Land mit Straftaten in Deutschland verrechnen. Die Eskalation der Sicherheitslage erfordere einen kategorischen Abschiebungsstopp.

Die jüngsten Nachrichten aus dem asiatischen Land lesen sich in der Tat dramatisch. Die Zahl der gewaltsam getöteten Zivilisten hat mit fast 1.700 im ersten Halbjahr 2018 einen Höchststand erreicht. Die Taliban beherrschen weite Teile des Staatsgebietes.

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat schließt aus, dass es in Kabul sichere Gebiete für Flüchtlinge gibt – die Bundesregierung stuft die UNHCR-Stellungnahme aber lediglich als unverbindliche Empfehlung ein. Bei den vorherigen 16 Abschiebungen hatten Bund und Länder 366 Männer nach Afghanistan gebracht. Nach einer Sammelabschiebung Anfang Juli hatte einer der 69 Männer kurz nach seiner Ankunft in Kabul Selbstmord begangen. Reimar Paul