Ermordet und zerstückelt?

Was geschah mit dem saudischen Journalisten Jemal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul? Das Rätselraten weicht einem fürchterlichen Verdacht – jetzt auch amtlich

Zu spät? Der verschwundene Journalist Jamel Kha­shoggi auf einem Plakat bei einer Demonstration vor dem saudischen Konsulat in Istanbul, Freitag Foto: Emrah Gurel/ap

Von Jürgen Gottschlich

Das saudische Konsulat in Istanbul ist ein unscheinbarer gelber Bau, nicht größer als ein Einfamilienhaus, mitten in einem beschaulichen Viertel. Die Straße vor dem gelben Haus mit der Flagge von Saudi-Arabien auf dem Dach ist seit Tagen abgesperrt. Vor der Absperrung tauchen immer wieder Demonstranten und Schaulustige auf und fragen: Wo ist Jemal Khashoggi?

Am vergangenen Dienstag hatte der bekannte saudische Journalist, Kolumnist der Washington Post, das Konsulat betreten, seitdem wurde er nicht mehr gesehen. Kha­shoggi, sagt seine türkische Verlobte Hatice Cengiz, war sich bewusst gewesen, dass der Besuch des Konsulats riskant ist. „Er hatte Angst, aber er brauchte Papiere für unsere Heirat.“ Kashoogi soll sich zuvor erkundigt haben, dass man ihm keine Schwierigkeiten machen würde, und sich dann den Termin geben lassen. Er wurde also erwartet.

Als er am Dienstagmittag das Konsulat betrat, wartete Hatice Cengiz vor der Tür. Nachts um 23:00 Uhr wartete sie immer noch. Dann alarmierte sie die türkische Polizei. Am Mittwoch lud das türkische Außenminister den saudischen Botschafter zu einem Gespräch, um den Verbleib Khashoggis zu klären. Anschließend sagte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman der Nachrichtenagentur Bloomberg, Kha­shoggi habe das Konsulat wieder verlassen und sei dann verschwunden. Die türkische Polizei könne das Konsulat gerne betreten und sich davon überzeugen, dass Herr Kha­shoggi dort nicht sei.

Mittlerweile haben Recherchen der türkischen Polizei ergeben, dass am Dienstagmorgen, dem Tag, als Khashoggi seinen Termin im Konsulat hatte, 15 saudische Männer in zwei unterschiedlichen Flugzeugen in Istanbul gelandet waren, ebenfalls das Konsulat besuchten und am Abend wieder nach Saudi-Arabien zurückflogen. Seit Samstag kursiert in den türkischen Medien ein Verdacht, der, sollte er zutreffen, „eine monströse und unfassbare Tat“ beschreiben würde, wie der Chefredakteur der Washington Post, Fred Hiatt, twitterte.

Das Gerücht, Khashoggi sei im Konsulat ermordet worden, sickerte zuerst aus türkischen Ermittlerkreisen durch. Ein Freund Khashoggis präzisierte, Ermittler gingen davon aus, dass Khashoggi von dem 15-köpfigen saudischen Team im Konsulat empfangen und ermordet und dann, in kleine Teile zerstückelt und auf die Taschen der Killer verteilt, hinausbefördert worden sei.

In den türkischen Medien kursiert ein Verdacht, der „eine monströse und unfassbare Tat“ beschreibt

Offiziell gilt Khashoggi immer noch als vermisst. Doch die Washington Post schrieb unter Berufung auf die türkische Polizei bereits von Mord. Ein Vertreter des Konsulats wies die Anschuldigungen dagegen als völlig gegenstandslos zurück: Es gäbe keinen Grund dafür.

Tatsächlich wird über die Gründe, die das saudische Königshaus haben könnte, einen Mord an Jamal Khashoggi in Auftrag zu geben, bereits heftig spekuliert. Der 59-jährige Jamal Khashoggi ist einer der bekanntesten Journalisten Saudi-Arabiens, der mit Interviews mit Osama bin Laden auch internatio­nal Furore gemacht hat. Er überwarf sich jedoch mit dem Kronprinzen und verließ Saudi-Arabien im September letzten Jahres aus Angst, verhaftet zu werden. Er ging in die USA und kritisiert seitdem regelmäßig den saudischen Krieg im Jemen und die innere Repression im Land.

Falls der saudische Journalist wirklich in der Türkei ermordet wurde, dürfte das angespannte Verhältnis zwischen den beiden Ländern sich weiter verschlechtern. Die Türkei streitet sich mit Saudi-Arabien seit Jahren, weil die Saudis den Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär finanziert hatten und aktuell den türkischen Verbündeten Katar durch Sanktionen dazu bringen wollen, seine Beziehungen zum Iran abzubrechen.