Die Kunst muss wehtun

Der Kasseler Obelisk und das Holocaust-Mahnmal in Höckes Nachbargarten:
Im Rahmen der Ausstellung „Freiheit zur Freiheit“ des Kunsthauses Dresden diskutierte eine Runde über die Freiheit und die Grenzen der Kunst

Bis vor Kurzem stand der Obelisk auf dem Kasseler Königsplatz. Er trägt die Inschrift: „Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt“ Foto: Swen Pförtner/dpa

Von Marlen Hobrack

Was bedeutet heute Freiheit in Europa? Und wie kann sich die Kunst gegen Versuche, ihre Freiheit zu beschneiden, behaupten? Im ersten Teil der Ausstellung „Freiheit zur Freiheit“, im Sommer 2018 eröffnet, stellte das Kunsthaus Dresden die Frage, was Freiheit in Europa heute wie in historischer Per­spektive bedeutet. Mit dem zweiten Teil verlässt das Kunsthaus seinen angestammten Platz im Dresdner Barockviertel und findet im Schloss Albrechtsberg, einer Bühne für Kunst- und Diskussionsveranstaltungen, Unterschlupf. Idyllisch an der Elbe gelegen, wirbt es mit dem Slogan „Ein Schloss aus Liebe erbaut“. Aus preußischer Liebe, möchte man hinzufügen.

Das Schloss wurde Mitte des 19. Jahrhunderts für Prinz Albrecht von Preußen, dem jüngeren Bruder von Wilhelm I., entworfen. Ausgerechnet dieser Ort, der preußische Steifheit mit pseudobarock anmutenden Goldverzierungen und reichlich rotem Samt übertüncht, wird zum Ort der Diskussion über Kunst?

Das funktioniert wohl auch deshalb, weil sich hier die Frage nach der Repräsentation geradezu aufdrängt. Die überholte Repräsentation durch den Körper des Königs wird mit der Frage konfrontiert, inwieweit Theater und Kunst überhaupt noch repräsentieren können oder sollen. So auch in der Podiumsdiskussion am Abend des 7. Oktober, die Joachim Klement (Intendant Staatsschauspiel Dresden), Philipp Ruch (Zentrum für politische Schönheit), Laur Kaunissaare (Theaterprojekt Theatre No99), Ayşe Güleç und Tunçay Kulaoğlu (Tribunal – NSU-Komplex auflösen) auf der theatralen Kronensaal-Bühne versammelte.

Dem Theater attestiert die Runde, langweiliger Ort bürgerlicher Selbstvergewisserung und schlicht passé zu sein. Er höre das inzwischen schon so lange, dass ihm nicht einmal mehr die Miene entgleise, gibt Joachim Klement süffisant zurück. Filmemacher Tunçay Kulaoğlu weist darauf hin, dass Migranten erst einmal in den Genuss der theatralen Langeweile kommen möchten – im Zuschauerraum, wie auch auf der Bühne. Dass es also gelte, in diesem mehr oder weniger langweiligen oder affirmativen Raum bürgerlicher Selbstvergewisserung überhaupt erst sichtbar zu werden.

Um Sichtbarkeit geht es gerade auch in dem „Tribunal – NSU-Komplex auflösen“. Denn die Opferfamilien, durch Polizei und Staatsanwaltschaft kriminalisiert, wurden weder gehört, noch bekamen sie eine Bühne. Jedenfalls bis zur Inszenierung des NSU-Tribunals in Kassel. Der gewaltvolle Thea­terraum, wie ihn Soziologin Ayşe Güleç bezeichnet, sollte für die Angehörigen der NSU-Opfer zum Schutzraum werden. Güleç betont, dass Sichtbarkeit das Thema der Kunst schlechthin sei. Was sichtbar ist, kann dem Betrachter aber auch ein Dorn im Auge sein.

Deutlich wurde das im Zusammenhang mit dem für die documenta 14 entworfenen Obelisken des nigerianisch-amerikanischen Künstlers Olu Oguibe: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde er, just am Morgen der Tags der Deutschen Einheit, vom Kasseler Königsplatz entfernt. Der AfD-Stadtverordnete Thomas Mater­ner hatte das „Fremdlin­ge-und-Flüchtlinge-Monument“ als „entstellende“ Kunst bezeichnet. Auch wenig fantasie­begabte Menschen können die Brücke von entstellender zu entarteter Kunst schlagen. Nun stört die AfD sich häufig und gerne an „Denkmälern der Schande“, aber warum wusste SPD-Bürgermeister Christian Geselle dem nichts entgegenzusetzen, um die Freiheit der Kunst zu verteidigen?

Sichtbarkeit ist das Thema der Kunst. Was sichtbar ist, kann dem Betrachter aber auch ein Dorn im Auge sein

Man stelle sich einmal vor, die Stadt Dresden hätte Manaf Halbounis „Monument“ – die drei Busse vor barocker Neumarktkulisse – mal eben entsorgt! Kräftig kratzten sie am durch hübsch-sanierte Kulissenbauten wiederaufgerichteten Dresdner Selbstverständnis und provozierten die Schreichöre der Wutbürger (mediengerecht inszeniert).

Kunst, die politisch wirksam sein will, muss wehtun, auch wenn sie hierfür subtilere Mittel als Gewalt wählt. Philipp Ruch stellt dann auch klar, dass die Grenze der Kunst nur die handfeste Gewalt gegen andere sein kann. Zur Erinnerung: Das Zentrum für politische Schönheit setzte Björn Höcke als Reaktion auf seine Dresdner Rede im Ballhaus Watzke, in der er das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hatte, ein kleines Holocaust-Mahnmal aufs eigens angemietete Nachbargrundstück. Die Freude über den wahrhaftigen Coup wich aber rasch, nachdem bekannt wurde, dass man Höcke pausenlos „überwacht“ hatte.

Auf meine Frage, ob die Beobachtung Höckes nicht die Grenzen der Kunst sprenge, eben weil sie Persönlichkeitsrecht berühre, meint Ruch: „Neonazis gehören vom Verfassungsschutz beobachtet. Dass Björn Höcke nicht vom Verfassungsschutz beobachtet wird, hat mich entsetzt.“ Kein Schutzraum für Rechtsextreme? „Wenn Sie mich fragen, ob er dieses Refugium, in dem er sich vom Hetzen erholen kann, haben darf – dann nein, natürlich nicht. So haben übrigens auch die Gerichte entschieden.“