Der Affe des Direktors

Seit über 40 Jahren sind Zirkusdirektor Klaus Köhler und der Schimpanse Robby unzertrennlich. Am 8. November entscheidet sich, ob Robby in eine Auffangstation gebracht wird. Tierrechtler fordern seit Jahren das Ende seiner Beschäftigung im Zirkus. Robbys Tierärztin warnt vor den Folgen

Zwei Rentner: Ob Robby seinen Lebensabend bei seinem Ziehvater Klaus Köhler oder in Valencia unter Artgenossen verbringt, entscheidet demnächst das Oberverwaltungsgericht Lüneburg Foto: Alexandra Dörnath

Von Yasemin Fusco

Robby sitzt in seinem Außengehege und ahnt sicher schon, dass er heute viel Besuch bekommen wird: Den ganzen Vormittag spazieren Passanten und Journalisten auf das Gelände neben dem Aldi-Markt der Gemeinde Wunstorf bei Hannover. Dort hat sich der Circus Belly von Familie Köhler für ein paar Tage niedergelassen. Der Zirkus ist neben dem Parkplatz des Discounters aufgebaut, viele Wohnmobile umstellen das himmelblaue Zelt.

Doch Robby kümmert die große Aufmerksamkeit um seine Person kaum. Er ist ein alter Show-Affe und weiß mit seinen Artverwandten umzugehen. Noch stärker interessieren ihn allerdings die Äpfel, die seine Tierärztin Alexandra Dörnath mitgebracht hat – und die Milch, mit der er noch ein kleines Kunststück vorführen wird.

Seit über 40 Jahren lebt der 47-jährige Schimpanse bei seinem Ziehvater Klaus Köhler, seitdem sind sie unzertrennlich. Der 70-jährige Direktor des Circus Belly begrüßt mich mit müden Augen und erzählt ungefragt, wie viel Kraft ihn und seiner Familie die letzten Monate gekostet haben. Nach langem Streit mit dem Veterinäramt des Landkreises Celle wird das Oberverwaltungsgericht Lüneburg am 8. November entschieden, was mit Robby passieren soll: Kann er beim Circus Belly bleiben oder muss er weggegeben werden? Das Zentrum „Stichting AAP“ in den Niederlanden hat sich auf Menschenaffen spezialisiert, die aus der Unterhaltungs- und Pharmaindustrie kommen. Im spanischen Valencia betreibt es ein weitläufiges Naturreservat, in dem Robby unterkommen könnte.

Colin Goldner, Leiter der deutschen Sektion des internationalen „Great Ape Project“, das Grundrechte für Menschenaffen fordert, würde das begrüßen. Selbst „aussichtslose“ Fälle wie Robby könnten unter fachkundiger medizinischer und psychologischer Betreuung rehabilitiert werden, meint der Psychologe, der die Studie „Lebenslänglich hinter Gittern: Die Wahrheit über Gorilla, Orang Utan & Co in deutschen Zoos“ verfasst hat.

Robbys Tierärtzin Alexandra Dörnath dagegen sieht die Chancen auf eine Resozialisierung sehr skeptisch: „Robby ist fehlgeprägt – er kennt nur Menschen und hält sich auch für einen.“ Seine Gestik und Mimik seien auf den Menschen ausgerichtet, er suche den Augenkontakt. Andere Schimpansen könnten dieses Verhalten von Robby als Provokation fehlinterpretieren, weil der direkte Augenkontakt bei Menschenaffen unüblich sei.

Anschluss an die Artgenossen

Es sei in solchen Resozialisierungszentren auch schwierig für männliche und alte Menschenaffen, Anschluss an die Artgenossen zu bekommen, meint Dörnath. Das Rivalitätsverhalten könne unter Umständen dazu führen, den Schwächsten in der Gruppe zu töten. Und das sei nun einmal Robby.

Während sie spricht, steht die Tierärztin neben dem Käfig, in dem sich Robby und der Zirkusdirektor miteinander beschäftigen: Ich sehe zwei alte Männer, die sich aufeinander eingespielt haben. Immer wieder kommt es zu Berührungen, auch zu kleinen Rangeleien, nie wirkt es so, als könne Klaus Köhler die nächsten Schritte von Robby fehlinterpretieren.

Als ich durch die Gitterstäbe Robbys Freund, einen Labradoodle, begrüße, merke ich zu spät, dass Robby damit nicht glücklich ist: Er räuspert sich. Klaus Köhler warnt mich mit leiser Stimme – ich solle, solange der Hund im Gehege des Affen ist, besser von ihm lassen. Alexandra Dörnath fügt hinzu, dass das zwischenartliche Sozialverhalten bei Robby sehr ausgeprägt sei – gezwungenermaßen, möchte man hinzufügen.

Der Zirkusdirektor legt sich indes in die Hängematte im Außengehege des Menschenaffen. Seine Müdigkeit überwältigt ihn, er schläft sofort ein.

In seinem Gehege beim Circus Belly verfügt Robby über mehr als 50 Quadratmeter. Die Außenanlage mit Klettermöglichkeiten liegt neben dem Zirkuswagen und ist immer dann zugänglich für ihn, wenn der Wanderzirkus zum Stehen kommt. Alexandra Dörnath erklärt, dass die Klettermöglichkeiten nicht zu hoch sein sollten, da Robby als älterer Menschenaffe nicht mehr so kletterfest sei und runterfallen könnte. Im hinteren Teil des Wagens, auf zwei Stockwerken verteilt, ist ­Robbys Schlafbereich.

In einem Gutachten über „Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren“ stellt das zuständige Bundesministerium für Landwirtschaft fest, dass Innen- und Außengehege von Menschenaffen jeweils mindestens 200 Quadratmeter groß sein sollten, die Mindesthöhe sollte mindestens vier Meter betragen. Und dass eine Einzelhaltung von Schimpansen grundsätzlich abzulehnen sei.

Die Person Robby

Dabei steht Robby schon sein ganzes Leben lang zwischen Mensch und Tier – eine Person, die nicht aussprechen kann, wie es ihm wirklich geht. Leidet er? Sein Aussehen lässt nicht darauf schließen. Sein Fell glänzt in der Mittagssonne, er hat keine Narben und freundliche Augen. Der Grund für Robbys menschenähnliches Verhalten sei die Tatsache, dass er eben nur Menschen kenne, sagt seine Tierärztin. Robby ist in einem Zoo geboren und wurde von seiner Mutter nicht angenommen. Klaus Köhler nahm Robby als „siebtes Kind“ zu sich, wie er sagt, und schulte ihn für das Zirkusgeschäft. Seine sechs menschlichen Kinder sind alle mit Robby aufgewachsen und mit ihm und dem Circus Belly durch die Republik gereist.

Heute ist Robby in Rente, hält allenfalls mal Ringe für die Hunde in der Manege; er macht keine eigenen Kunststücke mehr. Doch wenn er sich Milch aus einer Tüte in seine Glasflasche kippt, aus der er trinkt, hält er die Tüte dabei immer höher, wie um zu zeigen, dass er das kann. Und er verschüttet dabei keinen einzigen Tropfen.

Robbys Berührungen sind sanft. Er tastet meine Wange, drückt meinen Oberarm – ich halte dagegen, auf Anraten des Zirkusdirektors. Das Eis ist schnell gebrochen. Er fängt an, meine Wunde an der linken Hand zu kratzen. Klaus Köhler beruhigt mich: Robby liebe es, Wunden zu kratzen und in Nasen zu popeln, auch der des Zirkusdirektors. Problematisch ist es, weil der Schimpanse spitze Fingernägel hat und sein sanftes Kratzen doch etwas schmerzt. Klaus Köhler spricht ein Machtwort – Robby hört sofort auf, widmet sich wieder seinen Äpfeln und beobachtet die spielenden Hunde.

Im Wohnmobil der Familie Köhler, beim Gespräch am Esstisch, kommt Wut auf „diese Tierrechtler“ hoch, die gegen die Haltung von Robby im Zirkus protestieren. Übergriffe, Beschimpfungen – alles sei ihnen schon passiert. Besonders der älteste Sohn, Klaus-Rouven, ist sauer. Tierrechtler, sagt er, seien keine Tierliebhaber. Klaus Köhler sagt, er habe schließlich die jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit Robby: „Dazu muss der Mensch geboren sein!“ Außenstehende könnten nicht verstehen, warum er so an seinen langjährigen Freund hänge: „Stellen Sie sich vor, Robby und ich haben bald goldene Hochzeit!“

Würde er heute noch ein Äffchen zu sich nehmen und im Zirkus auftreten lassen? Der Zirkusdirektor zuckt die Schulter. „Nein“, sagt er. „Die Zeiten haben sich geändert.“