Warm und wohlhabend

Rot-grüne Koalition streitet darüber, ob die Rekommunalisierung des Fernwärmenetzes ein Verdienst der SPD oder der Grünen ist. Die Kunden aber haben auf jeden Fall Vorteile

Beim Volksentscheid am 22. September 2013 votierte die knappe Mehrheit von 50,9 Prozent der Abstimmenden dafür, die drei Energieversorgungsnetze zurück in die öffentliche Hand zu überführen.

Strom- und Gasnetz wurden bereits 2015 und 2017 für 610 und 275 Millionen Euro rekommunalisiert.

Beim Fernwärmenetz erwarb Hamburg zunächst für 350 Millionen Euro einen Anteil von 25,1 Prozent an der Fernwärme-Betriebsgesellschaft. Bis zum 30. November hat die Stadt die Option, die restlichen drei Viertel ebenfalls zu erwerben.

Von Sven-Michael Veit

Ab nächstem Jahr will die Stadt Hamburg ihren Bewohnerinnen höchtselbst kräftig einheizen. Zumindest jenen rund 500.000 Haushalten, die ans Fernwärmenetz angeschlossen sind. Fast eine Milliarde Euro wird der Rückkauf der gesamten Netzgesellschaft vom Energiekonzern Vattenfall kosten, aber der grüne Umweltsenator Jens Kerstan hält das für gut angelegtes Geld: „Das ist ein gutes Geschäft für die Stadt und für die Kunden.“

Das sieht auch sein roter Koalitionspartner so: „Die vollständige Übernahme ist die beste Lösung“, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Dienstag im Rathaus, wo er zusammen mit Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) die Entscheidung vorstellte. Der Nachfrage, warum denn der fachlich zuständige Umweltsenator nicht zugegen sei, wich Tschentscher aus. Bei Firmenkäufen sei eben die Finanzbehörde federführend.

Woraufhin der von der Verkündung guter Nachrichten ausgebootete Kerstan drei Tage später seine Gutachter aus Berlin einfliegen ließ, um in kleiner Journalistenrunde ausführlich den Anteil seiner Behörde und seiner Partei an diesem Verhandlungserfolg zu betonen. Und dabei ging es vor allem um die Preisfrage: Denn über den Wert der Fernwärmegesellschaft gibt es viele Aussagen, und alle sind wahr.

Einen Mindestpreis von 950 Millionen Euro hatten der damalige SPD-Bürgermeister Olaf Scholz und sein Finanzsenator Tschentscher 2014 Vattenfall zugesichert. Vor einem halben Jahr indes errechnete ein Gutachter nur noch einen Wert von 645 Millionen Euro. Tschen­tscher und Dressel nannten am Dienstag „eine Bandbreite zwischen 800 Millionen und einer Milliarde Euro“.

Kerstans Gutachter errechneten hingegen einen Wert zwischen 979 Millionen und 1,097 Milliarden Euro, worauf Dressels Finanzbehörde plötzlich nachträglich eine Expertise aus der Schublade zog, in der nur von 920 Millionen Euro die Rede war – politische Koalitionen sind eben immer noch in erster Linie Hahnenkämpfe.

Die unterschiedlichen Ergebnisse ergeben sich sämtlich aus standardisierten betriebswirtschaftlichen Berechnungen, in denen aber mit verschiedenen Annahmen und Prognosen gearbeitet wird. Das betrifft vor allem die Renditeerwartung des Eigentümers und die Höhe der Kraft-Wärme-Kopplungs-Förderung (KWK) des Bundes. Erstere schwankt je nach Gutachten zwischen 3,5 Prozent und 6,16 Prozent pro Jahr – je höher sie ist, je mehr Profit also der Eigentümer aus dem Unternehmen ziehen will, um so geringer ist der Firmenwert. Es ist dann ja weniger Geld zum Investieren da. Und die KWK-Förderung wurde in verschiedener Höhe oder gar nicht eingerechnet.

Im Ergebnis aber kommen der Gutachter der Umwelt- wie auch der Gutachter der Finanzbehörde zu Unternehmenswerten, die knapp unter dem Mindestpreis oder deutlich darüber liegen. „Vattenfall hätte auf dem freien Markt deutlich mehr erlösen können“, sagt deshalb Kerstan, „folglich ist es ein gutes Geschäft für Hamburg.“

Darauf deutet auch eine diskrete Anfrage an sieben deutsche Bankhäuser und Beratungsgesellschaften hin. Sie kamen sämtlich zu dem Schluss, dass der Wert der Fernwärmegesellschaft „deutlich über dem Mindestpreis“ liege. Zudem sei nach Anfangsinvestitionen ab 2020 ein jährlicher Überschuss von durchschnittlich 55 Millionen Euro für das Stadtsäckel zu erwarten.

Und deshalb wird Tschen­tscher am Mittwoch vor der Bürgerschaft eine Regierungserklärung zur Rekommunalisierung des Netzes abgeben. Er wird versprechen, die Energiezukunft der Stadt nicht auf Kohle zu bauen, einer Ökologisierung aller drei städtischen Versorgungsnetze für Strom, Gas und Fernwärme wird der promovierte Mediziner das Wort reden, der den Begriff der öffentlichen Daseinsvorsorge sehr ernst nimmt, und er wird garantieren, dass die Tarife für die Kunden nicht über die übliche Teuerungsrate hinaus steigen werden – eine Zusage, die Vattenfall nicht hatte geben wollen.

Das wäre die neue Definition einer Win-Win-Situation: Die Bürger haben es warm, und die Stadt wird wohlhabend.