Siegreiche Niederlage

Okay, Jogi Löws Team zieht sich achtbar aus der Affäre gegen Frankreich. Aber auch beim 1:2 wird die Auswahl Opfer einer antrainierten Uniformität

Akrobat schön: Serge Gnabry (r.) ist vor Weltmeister Olivier Giroud am Ball Foto: reuters

Aus Paris Andreas Rüttenauer

So wie nach dem 1:2 gegen Frankreich im Stade des France von St.-Denis am Dienstag hat sich Joachim Löw vielleicht noch nie über eine Niederlage gefreut. Für Mittelfeldmann Toni Kroos war es gar eine Niederlage, die „Spaß gemacht“ hat. Der Bundestrainer sah die Deutschen „voll auf Augenhöhe“ mit dem Weltmeister, der für ihn das Beste ist, was der Nationalmannschaftsfußball derzeit zu bieten hat. Es waren Löws Entscheidungen, die dazu geführt hatten, dass der Glaube daran, dass Deutsche Fußball spielen können, zurückgekehrt ist – ein bisschen zumindest.

Auf fünf Positionen hatte Löw umgestellt, ließ mit Thomas Müller endlich auch mal einen arrivierten Weltmeister aus dem Stall des FC Bayern auf der Bank sitzen. Konnte sich freuen, dass Außenspieler Nico Schulz schnell bemerkt hat, dass ihm sein Gegenspieler an der Linie, Benjamin Pavard, keineswegs überlegen war. Durfte sehen, dass sich auch Thilo Kehrer nicht blamiert hat. Dürfte sich gefreut haben, dass vorne Leroy Sané, Serge Gnabry und Timo Werner Sprints hingelegt haben, dass es vor allem in der ersten Halbzeit eine wahre Freude war. Ob der Jugendstil Zukunft hat? Löw wollte nichts versprechen. Auf die richtige Mischung komme es an.

Und doch musste er schon wieder eine Niederlage erklären. Es war die sechste in diesem Kalenderjahr, und im Mannschaftsbus auf dem Weg ins Hotel wird manch Spieler auf Twitter den Lieblingswitz des Abends entdeckt haben, wonach Gibraltar, das sein Nations-League-Spiel gegen Liechtenstein mit 2.1 gewonnen hat, nun heuer schon mehr Pflichtspielsiege auf dem Konto hat als die DFB-Auswahl. Die Chancenverwertung musste als Erklärung wieder mal herhalten, so als sei die Effizienz, mit der die Franzosen ihre Spiele gewinnen, nichts anderes als Glück. Und beinahe peinlich wurde es, als Löw in seiner anderthalbminütigen Spielanalyse viel zu lange darüber gesprochen hat, dass der Elfmeter, den Antoine Griezmann zum 2:1 verwandelt hat, unberechtigt war. So reden Verlierertrainer. Man kennt das aus der Liga.

Es könnte gut sein, dass Löw und seine zwar enttäuschten, aber doch irgendwie auch hochzufriedenen Verlierer immer noch nicht recht wissen, wo sie den Hebel anzusetzen haben. Lang währte die Pracht auch am Dienstag nicht. Als in der zweiten Hälfte Paul Pogba seine Ausputzerrolle vor der Abwehr engagierter angegangen war, lief bei den Deutschen nicht mehr viel. Und als Löws junge Männer hinten lagen, die Franzosen ihnen den Ball überließen, da war wieder zu sehen, wie schwer sich die Auswahl damit tut, aus ihrem Aufbauspiel heraus Tempo zu entwickeln.

Löws hochzufriedene Verlierer wissen aber immer noch nicht recht, wo sie den Hebel anzusetzen haben

Es ist zu befürchten, dass diese Probleme noch länger zu sehen sein werden. Gerade bei Gegnern, die sich nicht weiter für die Spielgestaltung interessieren, ist jede Menge Kreativität gefragt. Auf solche könnte die DFB-Elf bei einem Abstieg aus der Eliteklasse der Nations League bald des Öfteren treffen. Die Diskussion, ob in der Ausbildung der Spieler in den Leistungszentren des Verbands regelrechte Taktikroboter produziert werden, die zwar mit geschlossenen Augen verschieben können und dabei auch den vom Trainer vorgegebenen Abstand zum Mitspieler einhalten können, wird wohl weiter geführt werden. Der Verband, der sich lange darauf verlassen hat, dass schon gut genug ist, was aus den Klubs kommt, hat seinen Jugendteams schon vor Jahren eine einheitliche Spielweise verordnet. Auch durch die Fußballlehrerausbildung gibt der Verband eine taktische Richtung vor. Diese Einheitlichkeit könnte zu der Einförmigkeit und Ideenlosigkeit geführt haben, für die die Auswahl zu Recht gescholten wird.

Nun gilt es all diese zu fördern, die sich trotz dieses auf Anpassung getrimmten System als Individualisten hochgespielt haben. Sané, der auch mal versucht, drei Gegenspieler mit einer Körpertäuschung ins Leere laufen zu lassen, gehört sicher zu den Individualisten, die es zu fördern gilt. Es war ja bereits von Toni Kroos zu hören, der junge Mann sei schwierig, und auch Joachim Löw hat klargemacht, dass einer wie Sané besonders gut trainieren muss, will er eine Chance für die Startelf haben. Löw sollte sich lieber fragen, warum er so wenige schwierige Spieler hat. Gerade hat sich die U21 des DFB souverän für das Finalturnier um die EM qualifiziert. Nach dem 2:0 gegen Irland im letzten schon nicht mehr relevanten Gruppenspiel meinte der Stuttgarter Timo Baumgartl, man habe gesehen, dass „wir 23 gleichwertige Spieler“ haben. Vielleicht ist das ja gerade das Problem.

Und im Fall von Serge Gnabry, der beim FC Bayern nicht in der ersten Reihe steht, sollte sich Löw an die Zeit erinnern, in der er an der Seite von Jürgen Klinsmann einen damals noch dauerdribbelnden Individualisten wie Bastian Schweinsteiger gefördert hat, obwohl der seinen Stammplatz bei den Bayern gerade verloren hatte. Am 19. November steht in Gelsenkirchen das letzte Nations-League-Spiel gegen die Niederlande an. Gut möglich, dass es das letzte in der Eliteklasse ist. Löw sollte dennoch keinen Abstiegskampffußball spielen lassen, wenn es dann überhaupt noch um etwas geht. Ihm sollte die Nations League so egal sein wie den meisten Fans. Er sollte sich wieder etwas trauen.