Hannah Reuter
Blind mit Kind
: Die Trotzphase(n) – unerwartet barrierefrei!

Foto: Agnes Krolik

Zur Kita will ich nicht!“, schreit meine Tochter und stampft zur Untermalung mit dem Fuß. Noch bevor ich zu einem beschwichtigenden Sermon ansetzen kann, hat sie sich mit einem melodramatischen Abgang ins Schlafzimmer verabschiedet. Ich höre sie nur noch schreien.

Die Trotzphase – natürlich auch für sehende Eltern eine Zeit fortwährenden Nervenverlusts. Sie hatte mich schon gestresst, bevor sie begonnen hatte: Was, wenn ich als blinde Mutter nicht schnell genug auf das wegrennende Rumpelstilzchen reagieren können würde? Würde es gefährlich werden? Würde ich mich hilflos fühlen? Die Antwort blieb ich mir schuldig – bis dieses Schreckensgespenst am Horizont meiner jungen Elternschaft plötzlich auch schon da war. „Ich will Schokolade! Kein rosa Pulli! Doch ein rosa Pulli!“ … sonst wütendes Geschrei!

Ja, nervig, aber irgendwie doch total barrierefrei, merke ich, denn davon abgesehen, dass man als blinder Mensch genauso ratlos vor dem Wüterich steht, hat man gar keine Nachteile: Das Kind ist ja wunderbar zu hören! Aufatmen? Nein, nicht immer. „Ich will Spielplatz! Ich will!“, und schwups rennt meine Tochter durch das herannahende Gewitter dem Traumziel entgegen. Ich höre nur den fernen Donner. Jetzt habe ich verloren! Ich schlucke, beruhige mich selbst, übe mich in Gottvertrauen. Zum Glück stehen Zweijährige nicht gern allein im Regen. Nach dem dritten verzweifelten „Mama!!!!“ kann ich das Kind orten und einfangen. Was, wenn sie auf die nächste Straße gelaufen oder in die Baugrube gestolpert wäre? Dann wäre sie nicht meine Tochter gewesen, denn die ist nicht von der Kamikaze-Kleinkind-Fraktion. Ganz im Gegenteil: „Mama, pass auf – Wasser!“, schreit sie schon aus zwei Meter Entfernung, wenn ich mich beim Gassigehen am Fluss aus Versehen der Uferkante näher. Glück gehabt – oder, wie viele behaupten, unserer Situation geschuldet?!

Doch mit drei sieht die Sache schon wieder ein bisschen anders aus, da weiß man schon bewusst, dass Mama und Papa nicht sehen. „Wir müssen los!“ Keine Reaktion. „Wo bist du?“ Keine Antwort. Trotzen geht eben auch ganz leise, wenn die Umstände es erfordern! „Bleibst du jetzt immer versteckt, damit Mama dich nicht findet?“, frage ich. „Ich bin nicht versteckt!“, sagt meine Tochter trotzig, um den Sachverhalt zu klären. Wieder erwischt – puh! Was, wenn sie noch ein bisschen älter ist und bewusster an die Sache rangehen kann?

Die Fünftage-vorschau

Fr., 19. 10.

Peter Weissen­burger

Eier

Mo., 22. 10.

Mithu Sanyal

Mithulogie

Di., 23. 10.

Doris Akrap

So nicht

Mi., 24. 10.

Franziska Seyboldt

Psycho

Do., 25. 10.

Jürn Kruse

Nach Geburt

kolumne@taz.de

Dann kommt mir vielleicht eine ureigene Eigenschaft des Trotzens zugute: Provozieren und sich durchsetzen wollen erfordert nun mal die Aufmerksamkeit des Gegenübers. Wenn Mama nicht sieht, dass ich mir zum wiederholten Male den Schlafanzug vom Leib reiße, ist die ganze Anti-Schlafen-geh-Protest-Aktion witzlos! „Mama, ich bin wieder nackt!“, ruft sie und legt zum Beweis meine Hand auf ihren kleinen Bauch. Ganz toll, wie sich eben schon die kleinsten Kinder auf die Bedürfnisse ihrer Eltern einstellen.