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: In aller Ruhe die Dinge sich überstürzen lassen

Foto: „Glory“ (Bulgarien 2016, Regie: Kristina Grozeva, Petar Valchanov). Die DVD ist im Handel ab rund 15 Euro erhältlich.

Tzanko Petrov packt, wie jeden Arbeitsmorgen, seinen riesigen Schraubenschlüssel und geht auf die Gleise. Zieht hier und da, weil es sein Job ist, eine große Schraube an den Schienenverbindungen fest. Da entdeckt er, auf freier Strecke und aus heiterem Himmel, einen sehr großen Haufen Geld. Weiß der Teufel, wie der da hinkam. Man könnte auch sagen: Das Drehbuch führt mit diesem scheinbaren Glücksfund eine große Teufelei im Schilde: Für Tzanko, der keiner der vielen Fliegen, die ihn in seinem sehr heruntergekommenen Häuschen umsummen, etwas zuleide tun würde, nimmt das Verhängnis von hier seinen Lauf.

Dabei rührt er den Haufen nicht an, jedenfalls fast nicht. Er ruft die Polizei, er setzt sich einfach mal hin. Er ist keiner, der von sich ein Aufheben macht. Natürlich könnte er das Geld mehr als gut brauchen, da liegt das Zigtausendfache seines Jahreslohns einfach herum: Umgerechnet 75 Euro verdient er im Monat, wie man später erfährt, und zwar brutto. Sein Leben in Armut geht bis dahin seinen geregelten Gang. Den Bart und die Haare hat er schon mehr als ein bisschen zu lang nicht mehr gestutzt. Allein lebt er, sehr sorgt er sich aber um seine Kaninchen draußen im Garten.

Tzankos Pech: Seine Ehrlichkeit kommt für Julia Staykova wie gerufen. Sie macht die PR im Transportministerium, das PR nötig hat, weil der Minister ein Stinkstiefel ist, der sich um Probleme nicht kümmert. Erst lässt sie Tzanko vor eine Kamera zerren, da zeigt sich, dass er sehr heftig stottert. Dann führt sie ihn als Muster der Redlichkeit in einer von Kameras begleiteten Zeremonie vor, er bekommt einen Orden und als Geschenk eine Uhr. Seine eigene Uhr, die titelgebende „Slava“ („Glory“), vom Vater geerbt, wird ihm dafür kurz abgenommen, irgendwie geht sie, weil sich keiner kümmert, verloren. Man dreht ihm eine Kopie an. Das aber macht er nicht mit. Da ist ein Punkt erreicht, da wird Tzanko zu einem kleinen bulgarischen Kohlhaas.

Julia Staykova ist die zweite Protagonistin des Films. Um die vierzig, kinderlos, zu ihrem Kummer. Sie beginnt unter ärztlicher Aufsicht ein aufwendiges Befruchtungsprogramm. Als die Dinge mit Tzanko aus dem Ruder zu laufen beginnen, kommen sie der genau getimten Schwangerschaftsangelegenheit in die Quere. Wie überhaupt der Film aus der zunächst ganz übersichtlichen Konstellation eine immer windungsreichere Satire auf die bulgarische Gegenwart macht: Er geißelt den Opportunismus der Politik, aber auch der Journalismus sieht nicht gut aus. Ein Investigativreporter des Fernsehens interessiert sich für Tzanko auch nur, um mit der Geschichte sein eigenes Süppchen zu kochen.

Nichts an den satirischen Momenten ist grundsätzlich originell. Die Figuren sind überzeichnet, aber doch nicht so sehr, dass sie reine Karikatur würden. Es haftet viel bulgarische Gegenwartswirklichkeit an ihnen und an den Räumen, in denen sie sich bewegen (oder auch nicht bewegen, denn Tzanko sitzt eigentlich lieber). In aller Ruhe schauen und hören Kristina Grozeva und Petar Valchanov sehr genau hin, in aller Ruhe lassen sie die Dinge sich überstürzen, in aller Ruhe treiben sie ihre Figuren in Situationen, in denen deren Bösartigkeit sich weniger als eine individuelle denn als eine systemische zeigt.

Ästhetisch ist das vom rumänischen Kino nicht sehr weit entfernt. Die dort kultivierte Beobachtungs- und An-den-Sachen-dranbleibe-Kunst wird hier ins deutlich Politsatirische überführt. Was aber gut funktioniert. Im absichtlich Groben von „Slava“ steckt auch viel gut gemacht Feines. Das Ende ist schwarz wie die Nacht, egal wie man sich ausmalt, was der Film einen sich ausmalen lässt.

Ekkehard Knörer