Das Ende der Gemütlichkeit

HistorikerInnen warnen vor Rechtspopulismus. Was ist daran falsch?

Die Zeit, in der Geisteswissenschaftler der Gesellschaft den Weg wiesen, ist vorbei. Das machtkritische „J’accuse“ ist out. Für moralische Interventionen aller Art ist change.org zuständig, ein Unternehmen, das Geld damit verdient, dass andere die Welt verbessern wollen. Heutzutage protestieren Professoren (Professorinnen weniger) eher, wenn die Regierung es versäumt, Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen. Es ist nicht klar, wann der Historikerverband zuletzt eine politische Warnung veröffentlicht hat. Es ist offenbar so lange her, dass sich auch HistorikerInnen, deren Metier das Gedenken ja ist, sich nicht mehr daran erinnern können. Insofern ist die „Resolution zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“, die der Fachverband der Historikerinnen und Historiker kürzlich in Münster beschloss, ungewöhnlich (zu finden auf der Homepage des Verbands der Historiker und Historikerinnen unter „Verband“ und dann unter „Stellungnahmen“).

Es gebe „maßlose Angriffe“ auf die Demokratie, heißt es dort. „Heutige Beschimpfungen von Politikern als ,Volksverräter' oder der Medien als ,Lügenpresse‘ nehmen die antidemokratische Sprache der Zwischenkriegszeit wieder auf“, so die Resolution. Auch dass Parteien behaupten, „einen einheitlichen Volkswillen“ zu vertreten, erinnere bedenklich an die Weimarer Republik und den Aufstieg der Nazis, die das für sich reklamierten. Bei der NS-Zeit gelte es auf Quellen zu beharren und kritisch gegenüber „alternativen Fakten“ zu sein. Auch Migration wird erwähnt, die Gesellschaften historisch gesehen nützlich gewesen sei. Angesichts eines Bundesinnenministers, der Migration zur „Mutter aller Probleme“ erklärt, ist das ein fälliges Korrekturzeichen – auch von HistorikerInnen. Die AfD wird nicht namentlich erwähnt – aber es ist klar, dass die VerfasserInnen der Aufstieg des Rechtspopulismus umtreibt.

Patrick Bahners ließ in der FAZ an dem Aufruf kein gutes Haar. Er sei oberlehrerhaft. Ein Text, der Migration, Kolonialismus und die Gefahr des Nationalismus erwähne, sei für einen Verband eine Art Amtsanmaßung. Bahners Kritik spiegelt konservative Einwände gegen Linksintellektuelle, die ohne Qualifikation einen Wahrheitsanspruch für alles beanspruchen würden. Petra Terhoeven, Zeithistorikerin aus Göttingen und eine Initiatorin der Resolution, beeindruckt diese Kritik nicht. „Wenn dieser Text als linksliberales, sogar parteipolitisches Papier gilt, zeigt das, wie weit sich der Diskurs nach rechts verschoben hat. Eigentlich erinnern wir doch nur an Selbstverständlichkeiten.“

Dass der Text überhaupt ein Echo fand, ist nicht selbstverständlich. Resolutionen von Verbänden sind ja so eine Sache. Misslich ist allerdings, dass die Debatte nun weniger um den Inhalt als um die Sprecherposition kreist: Dürfen die das eigentlich? Terhoeven, die ein ausgezeichnetes Buch über die Wirkungen der RAF in Westeuropa verfasst hat, sieht sich in der Pflicht: „Wer, wenn nicht wir Historiker wissen, dass Demokratie scheitern kann. Wir wollen eine Debatte anstoßen, wie weit solche historischen Vergleiche reichen“, so Terhoeven zur taz. Wahrscheinlich wäre es geschickter gewesen, statt Migration, EU und Kolonialismus zu streifen, auf das Kernpro­blem scharfzustellen. Etwa, dass der Chef der stärksten Oppositionspartei im Bundestag die NS-Zeit für einen „Vogelschiss“ hält. Wer hätte vor zwei, drei Jahren prophezeit, dass in Italien ein Rechtsextremer der starke Mann ist, ein narzisstischer Rechtspopulist im Weißen Haus regiert oder in Deutschland gegen System und Lügenpresse gehetzt wird?

Eine Grenzüberschreitung ist diese Resolution nicht. Beunruhigend wäre es, wenn HistorikerInnen Gaulands Ankündigung, man werde „das System“ mit einer Revolution, die netterweise friedlich verlaufen soll, beiseite fegen, achselzuckend übergingen und sich nur in Detailstudien über das Rentensystem vertiefen würden. Diese Berufsauffassung mag der FAZ genehm sein. Angesichts der Bedrohungen ist es ein gutes Zeichen, dass es der Verband der HistorikerInnen nicht dabei belässt, einen neuen Kassenwart zu wählen. Stefan Reinecke