Gewerbe statt Gemüse

Im Moorfleeter Becken will die Stadt Grundstücke aufkaufen und spricht eine erste Kündigung aus. Doch was sie plant, darüber bleibt sie klare Antworten schuldig

Fachwerkensemble soll weichen: Für was, wissen die Eigentümerinnen allerdings nicht Foto: Isabel Schiffler

Von Marco Carini

Das Schreiben bereitet Isabel Schiffler „schlaflose Nächte“. Mitte August erhielten die 47-Jährige und ihre Stiefmutter von der Grundstücksverwaltung Gladigau, die die Stadt Hamburg vertritt, die Kündigung für ihr Grundstück am Moorfleeter Deich 97 im Bezirk Bergedorf. Ohne nähere Begründung wurden die beiden Eigentümer­innen des sich unter Denkmalschutz befindenden Fachwerkensembles, in dem sich auch das „Jazz Archiv Hamburg“ befindet, zum 30. November gekündigt.

Neben den Wohnräumen befinden sich in dem Fachwerkensemble zehntausende alte Konzert- und Clubfotos, der Nachlass von Schifflers Vater, einem Konzertfotografen. Ein einzigartiges Archiv, das zu lagern Isabel Schiffler sonst „keine Möglichkeit hätte“.

Als Alternative zur Kündigung bot Gladigau einen Mietvertrag ohne Kündigungsschutz für das Grundstück an, dann allerdings unbebaut. Den hinteren Teil des denkmalgeschützten Fachwerkensembles müssten die Frauen dann abreißen, was ihnen rechtlich aber gar nicht erlaubt ist. Zwar halten die beiden Frauen und ihr Anwalt die Kündigung für „rechtsunwirksam“, doch der Versuch, sie ohne Angabe von Gründen auf die Straße zu setzen und der bevorstehende Rechtsstreit haben die Fotografin „verunsichert und aufgeschreckt“. Isabel Schiffler ist „beunruhigt, weil wir nicht wissen, was hier gespielt wird.“

Denn bereits vergangenen Februar erhielten 26 Grundeigentümer am Moorfleeter Deich eine unverbindliche Kaufanfrage vom der Finanzbehörde unterstehenden Hamburger Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG), dem hier – im Moorfleeter Becken – bereits diverse Grundstücke gehören.

Der Vorstoß der Hamburger Finanzbehörde war weder mit der Bergedorfer Politik noch der Verwaltung abgestimmt. Auch die Bezirksabgeordneten sind nicht informiert darüber, was die federführende Finanzbehörde plant. Die Moorfleeter befürchten nun, dass die Stadt das Wohngebiet umwidmen, hier Gewerbe ansiedeln will. Denn seit Jahren steht das Gebiet im Fokus der Wirtschaftsbehörde und der Handelskammer, die fordert, das etwa 35 Hektar große Areal zwischen Dove Elbe und Andreas-Meyer-Straße, auf dem heute vornehmlich Gemüse angebaut wird, für eine Gewerbeansiedlung zu nutzen.

Isabel Schiffler, Eigentümerin

Die Bergedorfer Fraktionen der CDU, aber auch der normalerweise stets gut informierten Regierungsparteien SPD und Grüne verlangten Auskunft vom Senat über den unabgesprochenen Alleingang der LIG und erhielten als Antwort nur Nebelkerzen. Da die Stadt über größere zusammenhängende Flächen verfüge, könne eine „Grundstücksarrondierung“ mittelfristig eine strategisch sinnvolle Überlegung sein. Da die Überlegungen aber noch nicht abgeschlossen seien, wären derzeit keine Kündigungen von Pachtverträgen geplant. Es handelt sich also um „Vorratskäufe“, interpretiert der SPD-Bezirksabgeordnete Peter Gabriel die inhaltsarmen Zeilen. Doch die Antwort löste bei den Moorfleetern mehr Befürchtungen aus, als sie zerstreute.

Denn vorausschauend deutet die Finanzbehörde an, dass ein fehlender Bebauungsplan für das Moorfleeter Becken, den der Bezirk aufstellen müsste, kein Hindernis für die Planung eines Gewerbegebietes sei. Immerhin schloss die Behörde aus, dass die begehrten Flächen für eine Deponierung von Elbschlick gebraucht würden, der bei der bevorstehenden Ausbaggerung des Flusses anfallen wird.

Der Bezirk Bergedorf bereitet seit zwei Jahren eine „Stadtwerkstatt Moorfleet“ vor, in der es um die Entwicklung der Moorfleeter Wanne, vor allem unter der Fragestellung geht, ob hier zusätzlicher Wohnungsbau möglich sei und wie das jetzige Wohnumfeld bewohnerfreundlicher gestaltet werden könne. Große Gewerbehallen zur Wohnumfeldverbesserung sind damit nicht gemeint. Man finde es „befremdlich“, so die Bergedorfer Fraktionen von CDU, SPD, Grünen und Linken, in einem gemeinsamen Papier, dass der LIG „ohne Information des Bezirks im Vorfeld der Stadtwerkstatt versucht, durch Ankäufe von Grundstücken eine veränderte Ausgangssituation zu schaffen“.