Alina Schwermer
Erste Frauen
: Die Kasachin, die
Adler fliegen lässt

Im Jahr 2009 schickte die Agentur Reuters zum ersten Mal ein Video der jungen Makpal Abdrazakova um die Welt. Inmitten von Männern nahm die Kasachin als Adlerjägerin an einem Festival teil; die Agentur nannte sie die „wahrscheinlich einzige Adlerjägerin Kasachstans“. Die Adlerfestivals in Zentralasien sind auch eine kulturelle Selbstversicherung, um nach dem Ende der Sowjetherrschaft alte Nomadentraditionen aufleben zu lassen. Die antretenden Männer messen sich im Wettreiten oder Bogenschießen; der Höhepunkt ist der Auftritt der Bürkitshi, der Adlerjäger. Die Sportler wachsen oft von Kind an mit dem Vogel auf und trainieren die Steinadler als Jungvögel. Spätestens ab 2011 ist Abdrazakova ein Star: die erste Adlerjägerin mit Weltruhm.

Sie wächst quasi in den Sport hinein. Im Alter von 13 Jahren kommt sie zum ersten Mal in die Nähe von Steinadlern. Ihr Vater, auch Jäger, hat die Tradition von den Alten gelernt. Zunächst füttert Abdrazakova den Adler nur, kommt ihm aber nicht nahe. Dann bittet der Vater die Ältesten um Erlaubnis, dass seine Tochter Bürkitshi werden darf. Sie darf. „Die Leute fragen mich oft, ob es schwierig ist, die einzige Frau unter männlichen Jägern zu sein“, sagte Makpal Abdrazakova. „Ich habe mich daran gewöhnt. Die Ältesten haben mir ihren Segen gegeben und ich bekomme weiterhin ihre Unterstützung. Wir hoffen, dass in Zukunft mehr Frauen Bürkitshi werden. Es wird dem Sport guttun.“ Aktuelle Forschungen aber zeigen, dass weibliche Bürkitshi in Zentralasien mitnichten so neu sind. Und Makpal Abdrazakovas Weg zum Star auch ein Resultat der Romantik und Vorurteile westlicher Medien.

Gräber ab 700 v. Chr. legen nahe, dass Frauen in nomadischen Steppenvölkern genauso Adlerjägerinnen waren wie Männer. Für die Stämme war es essenziell, dass ihre Frauen körperlich ähnlich aktiv und trainiert waren. Sie waren wohl extrem egalitäre Gesellschaften, mit deutlich mehr Möglichkeiten für Frauen als in sesshaften Völkern. Eine Adlerjägerin wurde sogar Anfang des 20. Jahrhunderts berühmt: eine gewisse Prinzessin Nirgidma aus der Mongolei, die einer adligen Familie entstammte. Sie studierte später Politikwissenschaften, Literatur und Musik in Peking, Paris und Brüssel und wurde in den zwanziger Jahren in Europa inmitten des Hypes um exotische Schönheiten zur Sensation. Warum sie Bürkitshi war? „Wir Mongolen sind emanzipiert“, sagte Nirgidma in einem Interview mit National Geographic.

Das gilt nicht überall: Auch heute noch sind einige Jäger gegen Frauen im Adler-Business. Ganz allmählich aber verbreitet sich eine komplettere Geschichte der Sportlerinnen. Im Film „The Eagle Huntress“ von 2016 noch wurde eine andere aktuelle Adlerjägerin, Aisholpan, zur vermeintlich ersten weiblichen Bürkitshi im Kampf gegen Machos erklärt. Das verursachte einen ziemlichen Shitstorm und allmählich ambitioniertere Recherchen. Während der Sowjetära war die Adlerjagd tatsächlich fast verschwunden und mit ihr die Erinnerung an Frauen, die Bürkitshi waren.

Langsam aber kommen wieder Mädchen nach. Trainiert werden sie unter anderem durch den Vater von Makpal Abdrazakova. Die ist mittlerweile Anwältin. In ihrer Freizeit lässt sie weiter Adler ­fliegen.