Hauptsache ruhig

Laut einer Studie des Bremer Forschungszentrum Socium erhalten an Alzheimer Erkrankte häufig statt wirksamer Medikamente lediglich Beruhigungsmittel. Die Forscher erheben schwere Vorwürfe

Menschen mit einer Alzheimer­demenz erhalten nach einer Studie des Bremer Socium-Forschungszentrums häufig nur Beruhigungsmittel und werden seltener mit wirkungsvollen Antidementiva behandelt. Das sei eine gravierende Fehlversorgung, kritisierte am Mittwoch Professor Gerd ­Glaeske, Leiter der Socium-Abteilung „Gesundheit, Pflege und Alterssicherung“.

Dies und die gleichzeitige Unterversorgung mit Antidementiva lasse sich nicht mit medizinischen Leitlinien erklären. „Im Gegenteil: Hier liegt der Verdacht nahe, dass demente Menschen einfach ruhiggestellt werden, statt sie richtig zu behandeln.“ Dabei sei vor allem bei der Anwendung von Antipsychotika bei Menschen mit Demenz das erhöhte Risiko eines vorzeitigen Todes seit vielen Jahren bekannt, so Glaeske.

Solche Arzneimittel, zu denen Tranquilizer und Schlafmittel noch hinzukämen, stellten zwar die Menschen ruhig und bedeuteten daher weniger Pflegeaufwand im Sinne eines „sauber, satt und ruhig“, sie seien aber keine Mittel, die ein menschenwürdiges Leben für Alzheimerpatienten förderten. Hier seien andere Maßnahmen notwendig, wie eine aktivierende Pflege, mit der die Alltagsfähigkeiten dieser PatientInnen möglichst lange erhalten bleiben sollen.

Die Studienergebnisse stammen aus dem Sonderkapitel Alzheimerdemenz im aktuellen „Innovationsreport 2018“ zur Arzneimittelforschung. Das Papier entsteht im Forschungszentrum Socium in Zusammenarbeit mit der Techniker-Krankenkasse (TK). Darin prognostizieren die AutorInnen, dass in den kommenden Jahren keine Durchbrüche in der Arzneimitteltherapie der Alzheimer­demenz zu erwarten seien. Die meisten Pharmaunternehmen hätten ihre Forschung dazu vollständig eingestellt.

Die derzeit verfügbaren Medikamente verlangsamten nur das Fortschreiten der Erkrankung. Parallel steigt aber die Zahl der Erkrankten. Weltweit sind nach Angaben des Reports derzeit 15 Millionen Menschen von Alzheimerdemenz betroffen. Bis 2030, so die Prognose, dürfte die Anzahl auf 75 Millionen Menschen ansteigen.

Der Medikamentenmarkt würde dann Glaeske zufolge um jährlich 17,5 Prozent wachsen und im Jahr 2026 einen Umsatz von 15 Milliarden Dollar erreichen. (taz/epd)