Früher Spielzeug,
heute Trendfahrzeug

Ökologisch, praktisch und schnell – in Frankreich werden elektrische Tretroller immer beliebter. Sehr verkehrssicher ist der Spaß allerdings nicht, zeigen Unfallzahlen

Schnell und öko: der E-Tretroller Foto: Herbert Neubauer/dpa

Von Klara Fröhlich

Nicht mit dem Fuß, sondern mithilfe des Daumens fährt Paris in die feinstaubfreie Zukunft. Treten ist von gestern. Heute regelt man per Daumendruck auf einen Knopf am rechten Lenker des elektrischen Tretrollers die Geschwindigkeit. Und surrt keine zwei Sekunden später mit schlappen 25 km/h an Fußgängern, Fahrrädern und im Stau stecken gebliebenen Autos vorbei.

Elektrische Tretroller sind das neue Trendtransportmittel in Frankreich. Laut einer Marktanalyse von Branchenexperten gaben die Franzosen im vergangenen Jahr insgesamt 62,9 Millionen Euro dafür aus. Mehr als für jedes andere der neuen ­E-Fahrzeuge, wie beispielsweise dem E-Wheel, dem elektrischen Einrad, oder dem E-Skateboard. Die Tendenz sei deutlich steigend, heißt es.

In Kürze dürfen E-Tretroller offiziell auf deutsche Straßen. Eine entsprechende Verordnung kommt spätestens Anfang 2019, kündigte eine Sprecherin des Verkehrsministeriums an. Die E-Roller dürfen mit bis zu 20 Kilometer pro Stunde auf Fahrradwegen fahren. Gibt es keine, müssen sie auf die Straße. Gehwege sind tabu. Sie brauchen wie Mofas eine Versicherungsplakette. Helme sind nicht vorgeschrieben. Der Fahrer muss mindestens 15 sein und einen Mofa-Führerschein oder eine andere Fahrerlaubnis haben. (dpa)

Geschäftsmann Guillaume Bocs öffnete 2013 Läden seiner Kette „eroue“ in mehreren französischen Städten. Er verkaufte zuerst nur E-Wheels. Heute seien jedoch die E-Roller am beliebtesten. „Die sind am einfachsten zu bedienen und werden heute nicht mehr nur von Nerds und Businessleuten genutzt“, sagt er. Zu zweit, mit Einkaufstüte, Kopfhörern, Absatzschuhen, mit oder ohne Helm – alltäglich und oft wenig verkehrssicher sieht man sie mittlerweile in Paris.

Doch warum boomt der E-Roller gerade jetzt in Frankreich? Für den Städteforscher Jérôme Monnet treffen verschiedene Faktoren aufeinander: „Es ist eine verspätete Reaktion auf eine ganze Reihe von technologischen Innovationen wie Gyroskope (Kreiselsysteme, die beim Ausbalancieren helfen), immer kleiner werdende Motoren und bessere Batterien“, sagt er. „Sie stellen eine technologische Avantgarde dar und haben dieses Bild auf den Roller übertragen.“ Etwas ironisch, wie er meint. Denn der Roller sei eigentlich ein altes Kinderspielzeug, das in Frankreich aus den Läden verschwunden war. Die überlasteten öffentlichen Verkehrsmittel und der Platzmangel hätten viele Menschen dazu gebracht, über andere Transportmöglichkeiten nachzudenken. „Der Roller ist kleiner und leichter als ein Fahrrad, lässt sich zusammenklappen und tragen und damit besser mit anderen Transportmitteln kombinieren. Das ist seine Schlüsselfunktion“, argumentiert Monnet.

Populär machten den E-Roller vor allem die Start-ups Lime und Bird. Ende Juni tauchten ihre Leihgeräte in Paris an Bushaltestellen, auf Fußwegen und Fahrradplätzen auf. Wie viele Geräte im Umlauf sind, geben die Unternehmen nicht preis. Zu umkämpft ist der Pariser Verkehrsraum. Doch allein von Bird sollen mehrere hundert Modelle auf den Straßen stehen. „Einige Ladenbesitzer hatten zuerst Angst, dass es sich schlecht aufs Geschäft auswirkt“, erklärt Guillaume Bocs. „Tatsächlich haben uns die Free-Floating-Roller aber einen deutlichen Boost verschafft. Die Leute testen es erst und kommen dann zu uns, um sich ein Modell zu kaufen.“

2017 gaben die Franzosen 62,9 Millionen Euro für diese Geräte aus

Nach den schwierigen Starts in San Francisco und Washington, wo Leih-E-Roller Proteste auslösten, war die Entscheidung, nach Paris zu gehen, ein cleverer Schachzug. Die mietbaren Stadtfahrräder, die Vélibs, sind seit mehreren Monaten wegen Umbauarbeiten nicht flächendeckend funktionstüchtig. Und die Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat der hohen Luftverschmutzung offiziell den Kampf angesagt. Das mag auch der Grund sein, warum die Stadt die im Straßenverkehr noch unerprobten E-Roller zunächst so wenig regelte.

Erst als die französische Behörde für Verkehrssicherheit erste Unfallzahlen veröffentlichte, änderte das Pariser Rathaus seine Haltung. Im Zusammenhang mit E-Tretern sind im vergangenen Jahr fünf Menschen gestorben, 284 wurden verletzt. Die E-Roller sollen nicht mehr auf dem Fußweg fahren, fordert Christophe Najdovski, Grünenpolitiker und Verkehrsbeauftragter des Pariser Rathauses. „Seitdem die Anbieter der E-Roller im Free-Floating-Modell in Paris sind, befinden wir uns in einer Art Schwebezustand. Es handelt sich nicht mehr um Kinderspielzeuge, die auf dem Fußweg fahren können. Es sind aber auch keine immatrikulierten, motorisierten Fahrzeuge, für die man einen Helm braucht“, sagt Najdovski. „Es ist ein Zwischending. Da ist das Nichts.“ Bevor jedoch etwas gegen dieses Nichts unternommen wird, warten die Politiker im Rathaus auf das neue Mobilitätsgesetz, das diesen Herbst kommen soll. Der Weg in die Zukunft ist noch lang. Auch wenn man ihn per Daumen mit 25 km/h zurücklegt.