Jürgen Gottschlich über die Freilassung von Tolus Ehemann Suat Çorlu
: Zur Einsicht gezwungen

Nachdem es jahrelang nur schlechte Nachrichten für politische Gefangene in der Türkei gab, hat jetzt erneut ein türkisches Gericht eine erfreuliche Entscheidung getroffen: Der Ehemann der deutschen Journalistin Meşale Tolu, Suat Çorlu, darf ausreisen und seine Frau und seinen Sohn nach Deutschland begleiten.

Diese Entscheidung war so nicht zu erwarten gewesen, denn Suat Çorlu hat keine deutsche Staatsbürgerschaft und ist angeklagt, aktives Mitglied der kommunistischen „Terrororganisation“ MLKP zu sein. In den Augen der türkischen Justiz ist er ein potenziell gefährlicher Terrorist. Dass er nun dennoch gehen kann, zeigt, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dabei ist, seine Gefängnisse von Leuten, deren Gefangenschaft ihm im Ausland nur Ärger bereitete, zu räumen.

Noch bedeutsamer als die Aufhebung der Ausreisesperre für Çorlu war am vergangenen Freitag die Entscheidung eines Gerichts in Izmir, den amerikanischen Pastor Andrew Brunson nach zwei Jahren Haft gehen zu lassen. US-Präsident Donald Trump hatte wegen Brunson sogar Sanktionen gegen die Türkei verhängt.

Erdoğans Kalkül, durch amerikanische, deutsche oder Deutschland nahestehende Geiseln im Austausch die Auslieferung von Leuten erzwingen zu können, die nach dem Putschversuch 2016 im Westen Asyl gesucht haben, hat sich nicht erfüllt. Weder Deutschland noch die USA haben solchen Erpressungen nachgegeben. Stattdessen haben die Verschlechterung der Beziehungen zu den USA, Deutschland und der EU insgesamt dazu geführt, dass die türkische Wirtschaft regelrecht abgestürzt ist und nun eine ökonomische Abwärtsspirale droht.

Das hat Erdoğan zu einem Strategiewechsel gezwungen. Es mag schmerzhaft für ihn sein, aber wirtschaftlich braucht der Präsident den Westen, deshalb konnten nun fast alle „westlichen“ Geiseln gehen. Was bleibt, ist ein ökonomisches Trümmerfeld, unter dem Millionen türkischer Bürger leiden und Zehntausende politische Gefangene, die nicht als ausländische Geiseln gelten und für die die westlichen Führer sich weit weniger ins Zeug gelegt haben.

Das bleibt nun die Aufgabe der Zivilgesellschaft.

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