Revolte im Schonraum

Kunstdemonstration, Protestperformance und müde Bullen: In der Kieler Stadtgalerie setzen sich zwölf Gegenwartskünstler mit dem Thema Revolution auseinander

Straßenkampf, klar, aber wo genau? Foto eines Protestierenden beim G8-Gipfel in Genua im Jahr 2001, aus Julian Röders Fotoserie „The Summits“ Foto: Julian Röder

Von Frank Keil

Da stehen sie und können nicht anders: zehn grün Uniformierte, zweireihig aufgestellt, die einem den Weg versperren, sodass man drum herum gehen muss, links oder rechts. Es gibt den mit den hochgezogenen Schultern, es gibt den Kleinen und es gibt den Großen, der in der hinteren Reihe steht (das sind oft die Unberechenbaren, wie man aus Erfahrung weiß). Allen gemeinsam ist das Reizgas am Gürtel, der Knüppel, der jederzeit gezogen werden kann, der Helm mit dem abgedunkelten Visier: Da kann dir jemand in die Augen schauen, aber du ihm oder ihr nicht.

Die skulpturale Arbeit „Polizei“ von Julius von Bismarck ist ein fulminanter Opener der Ausstellung „Are you satisfied? Aktuelle Kunst und Revolution“ in der Stadtgalerie Kiel. Die Schau ist ihr ganz eigener Beitrag zu „100 Jahre Novemberrevolution“, ist doch die sonst so kreuzbrave Marinestadt Kiel seit Monaten im Revolutionserinnerungstaumel.

Und was gibt es mit Rückgriff auf den sogenannten Matrosenaufstand vom November 1918 nicht alles zu genießen: Liederabende und Theateraufführungen reihen sich aneinander, die Emmaus-Kirchengemeinde im Norden Kiels will demnächst an einem Abend „die Verhältnisse zum Tanzen“ bringen. Und die SPD wird einen Kranz niederlegen. Deren Vorfahren unternahmen ja einst unter ihrem späteren Reichswehrminister Gustav Noske alles nur Erdenkliche, um den Revolutionswirren die Spitze zu nehmen und den anfangs anarchischen Protest in ihrem Sinne zu kanalisieren und also zu neutralisieren.

Da ist es gut, wenn inmitten allgemeiner Geschichtsseligkeit eine störrische und komplexe Ausstellung daherkommt, die gegenwärtige Fragen stellt; die antritt, uns kräftig durchzuschütteln und zu irritieren. „Wir haben uns gefragt, was es für Gründe gäbe, dass Künstler von heute zum Thema Revolution arbeiten und was revolutio­näre Strömungen wären“, sagt Peter Kruska, künstlerischer Leiter der Stadtgalerie.

Entsprechend haben er und sein Team zwölf Positionen versammelt. Fotografie ist vertreten und Zeichnung, dokumentierte Aktionskunst hat ihren Platz, ebenso der Film-Essay. Überhaupt ist viel Videokunst zu sehen, einiges an Zeitaufwand wird also eingefordert, sodass sich ein mehrmaliger Besuch schon deswegen empfiehlt; etwa um Harun Farockis und Andrei Ujicas wegweisende Filmanalyse „Videogramme einer Revolution“ zu erleben, über den Fall des Ceaușescu-Regimes kurz vor Weihnachten 1989 vor laufender Kamera.

Julian Röder wiederum hat in den vergangenen Jahren kaum einen G8- und keinen G20-Gipfel ausgelassen, um diese fotodokumentarisch zu begleiten. Zurecht zentral hängt eine Aufnahme von bündelnder Prägnanz: Ein Straßenkämpfer versucht, vertieft in einen Stadtplan, sich 2001 auf einem Fußgängerüberweg in Genua zu orientieren, während zu seinen Füßen faustgroße Pflastersteine angehäuft sind. Elegisch pausieren wiederum bei Heiligendamm unter einem knorrigen Baum erholungsbedürftige Einsatzkräfte, oft der Länge nach ausgestreckt; eine Szenerie, die an Caspar David Friedrich erinnert.

Zwei Aufnahmen, die entschieden die hektische Sphäre der Ereignisberichterstattung verlassen haben, so wie Röder selbst sich über die Jahre vom fotografierenden Demons­tranten zum Beobachter von Demons­trationen gewandelt hat und sich heute deren choreografischem Potential widmet. Er fragt uns auch, was eigentlich geschehen ist, dass wir diese und andere Bilder mit einem durchaus zustimmenden Vergnügen in einem Ausstellungsraum betrachten. Ist es mit dem Protest vorbei, wenn er Gegenstand der Kunst und so zu Kunst wird?

In eine verwandte Richtung verweist auch die Filmarbeit „Protest“ von Yvon Chabrowski, die in Leipzig und Berlin lebt und arbeitet. Sie hat das Internet – unsere Weltbilderquelle wie unser – fundus – nach immer wiederkehrenden Demonstrations-Stillleben des arabischen Frühlings durchforstet und aus ihnen theatrale Standbilder destilliert, die sie sozusagen leibhaftig aufführen ließ: Junge Gegenwartsmenschen in ausgesuchter Alltagskleidung betreten eine schlichte Bühne und begeben sich in Positur, mal als der Verletzte, mal als der sich um jeden Preis Wehrende oder als die vor Erschütterung versteinerte Beobachterin.

So steht es da, ein in sich geschlossenes Revolutionsensemble, minutenlang, sehr konzentriert, manchmal Einzelne sachte zitternd, weil es auf die Dauer nun mal anstrengend ist, eine Szenerie, die sich in Sekunden aufbaut und wieder auflöst, für länger festzuhalten. Getragen ist das Revolutionstheater von einer ganz eigenen Körperlichkeit, die so überzeugend schön wie fremd ist, so wie uns beim Zuschauen bewusst wird, wie schnell wir sonst derartige Bilder anklicken oder mit einem Fingerschnipp wegwischen.

Wie sich Passivität angesichts starker emotionaler Verwerfungen anfühlen und also erlebt werden kann, zeigt die Filmin­stallation „Was bisher geschah …“ von Steffen Zillig. In einer rasanten Mehrkanalprojektion konfrontiert sie die Betrachter auf sechs Leinwänden mit gefundenem Bild- und Fotomaterial, manchmal am Rand des Erträglichen. Denn was sich aus einem Mix aus Computerspielen, Animationen, Bewerbungsshows und intimen Aufnahmen aus Internetportalen aufbaut und immer mehr zuspitzt, ist ein Blick in eine Welt, in der ein Regelwerk immer mehr ins persönlich Leere greift.

Zillig möchte die Selbstentblößungsmomente und -potentiale seiner Protagonisten nicht aussparen, will konfrontieren und sie als Individuen zugleich im Schutz- und Schonraum einer Kunstinstitution gesichert und bewahrt wissen. Allein: Wie lässt sich das durchsetzen, außer durch eine innere Selbstverpflichtung, sich an die Spielregeln des anderen zu halten?

Apropos Außenraum, Innenraum: Mit beiden Sphären arbeitet die Künstlergruppe Famed, die mit ihrer aus Requisiten und filmischen Dokumentationsmaterial bestehenden Arbeit „More than a feeling“ die Geschichte der dem Mauerfall vorausgehenden Montagsdemonstrationen von 1989 aufgreift, bald subsumiert unter dem Schlagwort der „friedlichen Revolution“.

Also hatte sie in das Leipziger Museum der bildenden Künste über soziale Medien zu einer Aktion geladen. Dort wurden den eintreffenden Gästen Transparente und Spruchbänder mit Ausstellungs- und Werktiteln wie „Du fragst zu früh, wir können dir nicht helfen“ oder „I’m so fucking tired“ zur Verfügung gestellt, die bald lautstark durch das Haus getragen wurden, also dort blieben, wo sie hingehörten.

Doch was als ein erwartbarer Kunst-Ulk begann und sich entsprechend ausschmückte, änderte sich schlagartig, als die ersten der Kunst-Demonstranten die Museumstür öffneten und hinaus ins Freie strömten und dann durch die Innenstadt zogen: Wann wird etwas eine Demonstration? Wann versteht man, um was es geht und wann wird das wichtig? Wie leicht lässt man sich mitreißen oder sollte man nicht im Gegenteil ausufernder Begeisterung grundsätzlich misstrauen?

„2018 – Are you satisfied? Aktuelle Kunst und Revolution“: bis So, 25. 11., Stadtgalerie Kiel

„Videogramme einer Revolution“ von Harun Farocki und Andrei Ujica: Do, 15. 11., 19 Uhr, Kulturforum der Stadtgalerie