Kolumne Ich meld mich: Den Ochsen reiten

Bei den Hamer in Äthiopien müssen junge Männer ein Ritual durchlaufen, um sich zu beweisen. Erst dann dürfen sie heiraten.

Ein jungner Mann versucht auf ein Rind aufzuspringen.

Der Sprung auf den Ochsen verändert sein Leben Foto: imago/Nature Picture Library

Dann ist die Frau mit der Kalaschnikow an der Reihe. Gewehr vor der Brust, zieht sie am Handgelenk einen der jungen Männer auf den Tanzplatz unter dem Baobabbaum. Er lächelt geschmeichelt, hebt die dünne Gerte und zieht sie ihr mit scharfem Zischen über Rippen und Rücken.

Einen Moment blitzt Schmerz über ihr Gesicht mit den perlenschnurförmigen Haarfransen, dann nickt sie dankend und tänzelt in die Gruppe der Frauen zurück: Mit diesem Schlag hat der Vetter ihr seine Wertschätzung gezeigt. Der blutig aufgeplatze Striemen auf ihrem Rücken und die zwei bereits vernarbten Wülste zeigen an, dass sie eine geachtete Frau im Stamm der Hamer ist.

Verwirrt und zugleich gebannt verfolgen wir das Geschehen. Auch unsere Begleiter aus Addis Abeba, in Jeans und weißen Hemden, blicken eher ratlos auf ihre Landsleute: Mit ihren Lederschurzen scheinen die nicht nur durch 600 Kilometer Luftlinie, sondern durch Jahrhunderte von ihnen getrennt zu sein.

Hundert Verwandte sind aus allen Himmelsrichtungen nach Teya in Südäthiopien gewandert, ein großes Fest steht an. In wenigen Stunden wird das Leben des 18-jährigen Boké als Hamer-Junge zu Ende sein. Und nur ein erfolgreicher Viehzüchter wie sein Vater Haike kann es sich leisten, ein solches Ereignis würdig zu begehen. Als es Abend wird, zieht die Festgesellschaft zum großen Platz, auf dem ein Dutzend Ochsen durcheinanderlaufen.

Schriller werden jetzt die Rufe der Tänzer, heftiger wird das Klimpern der Glöckchen an den Knöcheln. Roter Staub wirbelt auf, verschwitzte Körper zucken. Immer öfter zischen Gerten auf nackte Rücken, ein knisterndes Vibrieren liegt in der Luft, ein rhythmisches Stampfen, unterlegt vom Brüllen der Ochsen. Plötzlich öffnet sich der Menschenkreis um die Tiere. Zehn Meter davor steht Boké. Er nimmt Anlauf, stürmt auf die Herde zu, springt hoch – und gleitet ab!

Jetzt darf er heiraten

Gelächter, Entsetzen – wenn er versagt, ist seine Familie für immer gezeichnet. Ein erneuter Versuch – er gelingt: Der Junge zieht sich auf den Rücken des ersten Ochsen, hüpft und tänzelt zwischen den aufgeworfenen Hörnern hindurch, rutscht noch einmal mitten in die Herde, kommt mit gütiger Mithilfe wieder hoch und springt schließlich unverletzt ab. Er hat es geschafft. Ab sofort darf er heiraten, kämpfen, eine Hütte beziehen. Ab sofort beginnt das Leben des Hamer-Mannes Boké.

Wir stecken mitten in einem uralten, blutigen Ritual – aber keinem weltentrückten. Viehzüchter Haike ist seinem Ruf als guter Geschäftsmann gerecht geworden. Nach harten Verhandlungen hat das französische Fernsehteam umgerechnet 220 Euro gezahlt, um filmen zu dürfen. Während die Deutschen, die nur schreiben und fotografieren, mit einem Drittel davongekommen sind.

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