Warum Hery Rajaonarimampianina um seine Verlängerung fürchten muss

Madagaskar wählt einen neuen Präsidenten. Zu den Favoriten gegen den Amtsinhaber zählen zwei schwerreiche Expräsidenten, deren Rivalität das Land schon einmal in die Krise geführt hat. Der dringend nötige politische Neuanfang im bitterarmen Inselstaat bleibt aus

Er macht sich Hoffnungen auf den Wahlsieg, denn seine Frau regiert die Hauptstadt: Marc Ravalomanana, Millionär und Expräsident, hier bei seiner Abschlusskundgebung am 3. November Foto: Malin Palm/reuters

Von Dominic Johnson

Madagaskar ist eigentlich ein tropisches Paradies, mit einer immensen Arten- und Ressourcenvielfalt, die so nirgends sonst auf der Welt anzutreffen ist. Zugleich ist es der wohl am schlechtesten regierte Staat der Erde, denn kaum ein anderes Land hat es geschafft, ohne bewaffnete Konflikte seine Wirtschaft über Jahrzehnte so konsequent zu ruinieren. War die große Insel im Indischen Ozean zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 noch in etwa so wohlhabend wie Malaysia oder Brasilien, gehört Madagaskar heute zu den ärmsten Ländern der Welt, mit 90 Prozent der 25 Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze und einer hemmungslosen Ausplünderung seiner natürlichen Reichtümer durch skrupellose Investoren.

Vor diesem Hintergrund ist es kein gutes Zeichen, dass die drei Hauptkandidaten bei der Präsidentschaftswahl, deren erster Durchgang am 7. November stattfindet, die drei letzten Staatschefs des Landes sind. Ein Spitzenkandidat ist Marc Ravalomanana, der einst reichste Privatunternehmer Madagaskars, der 2002 bei freien, aber monatelang umstrittenen Wahlen den sozialistischen Exdiktator Didier Ratsiraka besiegte und dann den Ausverkauf des Landes vorantrieb. Ein weiterer ist Andry Rajoelina, ebenfalls finanzstark, der 2009 als Bürgermeister der Hauptstadt an der Spitze eines Militärputsches gegen Ravalomanana die Macht ergriff und das Land ins internationale Abseits führte. Für eine zweite fünfjährige Amtszeit kandidiert schließlich der amtierende Präsident Hery Rajaonarimampianina, der Ende 2013 die auf internationalen Druck organisierten freien Wahlen gewann, aber als ehemaliger Finanzminister seines Vorgängers keine wirklich neue Politik anzubieten hatte.

Weil Madagaskars Staat schwach ist, gibt es für Amtsinhaber keinen Amtsbonus wie sonst in zentralisierten afrikanischen Autokratien. Der Amtsinhaber steckt jetzt vielmehr in der Defensive gegenüber Herausforderern, die mit Geld und Protz nur so um sich schmeißen.

Ravalomanana, der 2014 aus dem südafrikanischen Exil zurückkehrte, bereist die marode Insel per Hubschrauber und ließ seine Abschlusskundgebung in einem Stadion der Hauptstadt Antananarivo per Drohne über seinen Privat-TV-Sender übertragen. Er sagt, nur er habe als Businessman die Erfahrung, die für eine Gesundung des Landes nötig sei. Rajoelina, der sein Image als junger reicher Schnösel nie ganz hat abschütteln können, verspricht neue Städte, Schwimmbäder für die Armen, parfümierte öffentliche Toiletten und eine „Côte d’Azur“ an Madagaskars Küsten.

Präsident Rajaonarimampianina, der für seinen Wahlkampf 2013 laut einer Studie die gigantische Summe von 43 Millionen US-Dollar ausgegeben hatte – pro erhaltener Stimme mehr als Donald Trump in den USA – kann demgegenüber nur darauf verweisen, dass er viele Dinge angefangen habe, die er noch zu Ende bringen wolle. Er wirbt für seinen Entwicklungsplan „Vision Fisandratana“, der bis 2030 vier Millionen Arbeitsplätze schaffen soll, indem mehrere neu zu errichtende „Entwicklungspole“ Madagaskar zu einem unverzichtbaren Handelsknotenpunkt zwischen Südafrika und Asien machen. „Die Nation braucht Frieden mit sich selbst nach Jahren von Putsch, Instabilität und Krise“, sagt er.

9.913.599 registrierte Wähler sollen nun eine Entscheidung treffen. Ergebnisse dürften mehrere Wochen auf sich warten lassen. Sollte kein Kandidat die absolute Mehrheit erhalten, gibt es am 19. Dezember eine Stichwahl. Da von den drei großen Kandidaten nur zwei in die Stichwahl können, ist der Kampf um die Stimmen der Ärmsten gnadenlos.

Die Geschichte Madagaskars lehrt, dass Wahlergebnisse später zuweilen mit Gewalt in ihr Gegenteil verkehrt werden. Stimmen zu gewinnen ist daher nur ein Teil des Weges zur Macht. Mindestens genauso wichtig ist, wer im Krisenfall die Hauptstadt hält.

Weil Madagaskars Staat schwach ist, gibt es für Amtsinhaber keinen Amtsbonus

Als 2002 Exdiktator Ratsiraka seine Wahlniederlage gegen Ravalomanana nicht anerkannte, mobilisierte dieser monatelang täglich Hunderttausende Demonstranten in Antananarivo, bis Ratsiraka sich geächtet nach Frankreich verzog. Sieben Jahre später waren Ravalomananas Tage an der Macht gezählt, als sich die Hauptstadt unter Führung ihres Bürgermeisters Rajoelina gegen ihn erhob. Heute hat Antananarivo eine neue Bürgermeisterin – Ravalomananas Ehefrau, Lalao Ravalomanana. Er könnte Revanche üben, egal was bei den Wahlen herauskommt.

Schon zwischen April und Juni bewies die Opposition ihre Stärke in der Hauptstadt, als sie mit mehrtägigen Demonstrationen die Rücknahme von Teilen eines neuen Wahlgesetzes erzwang. Der Präsident musste auch einen neuen, parteilosen Premierminister ernennen, um die Wahlen zu organisieren.

Rajaonarimampianina ist also schon vor der Wahl angeschlagen. Zum Präsidenten gewählt wurde er 2013 ja auch nur, weil damals aufgrund jahrelanger Verhandlungen unter Ägide des südlichen Afrikas über Madagaskars Rückkehr zur Demokratie vereinbart worden war, dass die beiden Schwergewichte Ravalomanana und Rajoelina nicht antreten. Rajoelina hatte zuvor die madegassische Justiz dazu veranlasst, Ravalomanana in Abwesenheit zu lebenslanger Zwangsarbeit zu verurteilen, was diesen aus der Wahl ausschloss. Er selbst verzichtete dann ebenfalls auf eine Kandidatur. 2018 sind diese beiden Kontrahenten nun wieder im Spiel. Madagaskar hat die Chance auf einen politischen Neuanfang ohne die alten Streithähne verpasst.