„Orbánisierung Österreichs“ läuft

Nationalrat will Beteiligung von NGOs an Umweltverträglichkeitsprüfungen erschweren. Demokratiefeindlich, meinen Greenpeace und Opposition. Doch die schwarz-blaue Regierung hat noch weiter gehende Pläne

„Das kann nur dazu dienen, Druck auf die Leute auszuüben“

Heinz Mayer, Verfassungsrechtler

Aus Wien Ralf Leonhard

Greenpeace-Aktivisten erklommen am Donnerstag einen Baukran vor dem Parlament in Wien und seilten sich spektakulär ab. Dabei entrollten sie ein Transparent: „Hände weg von Umwelt- und Bürgerrechten“. Im Natio­nalrat stand eine Reform der Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) als letzter Punkt auf der Tagesordnung (nach Redaktionsschluss). Die Novelle sieht vor, dass NGOs künftig nur dann in einem UVP-Verfahren beteiligt werden können, wenn der Verein mindestens hundert Mitglieder nachweisen kann. Ein Verband muss mindestens fünf Mitgliedsvereine umfassen. Die Mitgliederzahl muss von einem Notar oder Wirtschaftsprüfer beglaubigt werden. Von der Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) ist das schon ein Zugeständnis, ihr ursprünglicher Entwurf sah vor, dass die Liste der Mitglieder samt Namen und Adressen ­veröffentlicht werden muss.

Greenpeace sieht darin einen „Versuch von Schwarz-Blau, Umwelt- und Bürgerrechte abzuschaffen“. Sprecher Lukas Hammer forderte die Abgeordneten von ÖVP und FPÖ auf, „diesen demokratiefeindlichen und rechts­widrigen Antrag gänzlich zurückzunehmen“. Etwa zwei Drittel der momentan rund 60 bei der Regierung akkreditierten Umweltorganisationen wären von dem Gesetz betroffen. Köstinger verteidigte die Reform mit dem schwedischen Vorbild. Das sei aber ein untauglicher Vergleich, erwidert die Opposition. Denn in Schweden hätten die Umweltvereine weit größere Mitspracherechte.

Verfassungsrechtler Heinz Mayer meint: „Das kann nur dazu dienen, Druck auf Leute auszuüben – eine ganz unschöne Sache.“ Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit erkennt gar einen weiteren Schritt auf dem Weg zur „Orbánisierung Österreichs“. An der Genehmigung der Novelle durch den Nationalrat ist trotz aller Gegenargumente nicht zu zweifeln.

Die UVP-Reform ist lediglich ein Aspekt der von der Wirtschaftskammer vorangetriebenen Umgestaltung der Politik. So drängt die ÖVP schon lange darauf, den Wirtschaftsstandort als Staatsziel in der Verfassung zu verankern. Dafür bedarf es einer Zweidrittelmehrheit, die nur mit der SPÖ oder den liberalen Neos zu erreichen ist. Die Neos hatten sich ursprünglich bereit erklärt, doch seit der UVP-Novelle stehen sie auf der Bremse. Man dürfe Umwelt und Wirtschaft nicht gegeneinander ausspielen, erklärte Parteichefin Beate Meinl-Reisinger. Die UVP-Vorlage, mit der die Regierung die Genehmigung größerer Bauprojekte beschleunigen will, habe illiberale Züge. Der Wirtschaftsstandort als Staatsziel ist der Regierung ein besonderes Anliegen, seit ein Gericht vergangenes Jahr die Genehmigung für eine dritte Piste des Wiener Flughafens Schwechat versagt hatte. Die Richter beriefen sich auf das Staatsziel Umweltschutz. Zwar wurde dieses Urteil in der Berufung aufgehoben, doch auch in Zukunft möchte man große Infrastrukturprojekte nicht durch Klimaschutz gefährdet sehen.

Im Begutachtungsverfahren befindet sich zudem das sogenannte Standortentwicklungsgesetz. Es sieht vor, dass „besonders standortrelevante“ Großprojekte nach einem Jahr per Verordnung genehmigt werden können, sollte das Umweltgenehmigungsverfahren bis dahin nicht abgeschlossen sein. Auch damit will man lästige NGOs ausschalten. Experten bestätigen aber, dass sich Verfahren nicht wegen ihrer Einsprüche in die Länge ziehen, sondern weil die Projektbetreiber die komplette Dokumentation nicht zeitgerecht liefern. Sollte das Gesetz durchgehen, könnten Konzerne durch Verzögerungstaktik die Umweltverträglichkeitsprüfung elegant umgehen.