Geister an der Hamme

In „Jenseits Paula“ versucht Bernd Freytag bei der Shakespeare Company, die Geschichte Paula Modersohn-Beckers mit den großen Fragen der Kunst zu verzahnen

Grübeln über Kunst: „Jenseits Paula“ in der Shakespeare Company Foto: Marianne Menke/BSC

Von Teresa Wolny

Mit dem Ausverkauf geht es schon los: „Hamse mal ’nen Euro für die Kunst?“ Gemeint ist die Kunst tatsächlich in Person. Sie steht da in roten Lackstiefeln, knallenger weißer Hose und Schweinekostüm auf der Bühne. „Kaufen sie meinen Arsch, mit Gebrauchsspuren, eingesessen, aber noch glatt“, schreit Peter Lüchinger als verzweifelter Museumsdirektor ins Publikum. Das Museum ist dabei ein abstrakter Reflexionsraum für das historische Geschehen in Worpswede: Paula Modersohn-Becker und so.

Nur wird in Bernd Freytags „Jenseits Paula“ eben auch deren Nachleben verhandelt: Aus dem Off streiten die lange Verstorbenen miteinander über Kunst und das Leben so allgemein. Die Liste dieser Themen ist lang, insgesamt wohl auch etwas zu lang für die knapp zwei Stunden dauernde Inszenierung. Das liegt am Text, den Freytags mit diversen Zitaten überfrachtet hat: von Paula Modersohn-Becker, Otto Modesohn, Rainer Maria Rilke und Fritz J. Raddatz. Wer sich vorab nicht wirklich gründlich in die Kunst und Literatur der Hauptfiguren eingearbeitet hat, verliert hier leicht den Überblick.

Es geht ans Eingemachte: Clara Westhoff-Rilke kämpft um Aufmerksamkeit für die Familie, die ihren Gatten Rainer Maria eher uncharmant als „Feind der Kunst“ abtut. Dass seine Nachkommen den Nachlass gut anlegen, ist ihm trotzdem wichtig. Am liebsten in Worpswede. Durch Kathrin Steinwegs überzeugende Darstellung steht Clara ihrer berühmten Freundin Paula auf der Bühne in nichts nach. Im Gegenteil: Theresa Rose gibt Paula mitunter etwas zu theatralisch, wenn sie etwa aus dem Jenseits damit prahlt, mehr Erfahrung im Totsein zu haben als Rainer Maria.

So verzettelt die große Geschichte auch sein mag: Es gibt schon einzelne Fragmente, die als Szenen funktionieren. Das Publikum sitzt dabei nicht nur vor, sondern auch auf der von Heike Neugebauer entworfenen Bühne, auf der sich wiederum eine zweite erhebt. Dort bekommt jeder abwechselnd seinen großen Auftritt, während die anderen sich im Hintergrund halten: einem kleinen Tischchen mit Glaskugel. Ein Nachbau von Paula Modersohn-Beckers Gemälde „Mädchen im Garten neben Glaskugel“.

Ansonsten gibt es viel Beziehungsdrama: Otto und Paula kämpfen mit der räumlichen Distanz, Clara und Rainer Maria sind sich ganz allgemein fremd. Paula ist glücklich in Paris, Otto bleibt alleine in Worpswede zurück und knabbert nicht nur an der Liebe, sondern auch daran, dass seine Bilder in Vergessenheit geraten werden, die von Paula hingegen nicht – und so weiter.

Und über allem verzweifelt Museumsdirektor Peter an der flachen, toten und oberflächlichen Kunst unter den Bedingungen des Marktes. Als personifizierter Kunstmarkt fragt er sich, ob Kunst nicht eigentlich erst ohne ihn wieder wirklich möglich wäre. Eingepackt und verstaut „in einem Speicher voller Bilder, aber da wären nur wenige“. Die Frage nach der wahren Kunst war auch damals eine große, als die Rilkes und Modersohn-Beckers raus wollten aus der „Kiste Worpswede“ und gestaltend mitten rein in die Moderne. Und – da hat die Shakes­peare Company schon recht – heute drängt sie noch viel mehr.

Nächste Termine: 10., 16. und 24. 11, 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz