Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Ein Aufbackbrötchen bricht dir nicht das Herz

Foto: Roberta Sant'anna

Diese hysterischen Hamsterkäufer vor einzelnen Feiertagen machen mich jedes Mal so wütend!“, sagte die Freundin vorm Edeka in der Osterstraße.

„Dabei ist doch jeden Sonntag der Supermarkt dicht“, mischte sich der Typ ein, der auf dem Boden saß und bettelte.

„Eben – und die haben doch bestimmt sowieso die Kühltruhen voll mit Fischstäbchen, Flutschfinger und Salami-Pizza“, sagte meine Freundin.

„Normal, aber es geht ja auch um Verfügbarkeit, die Auswahl, die Möglichkeit, das Stehen vorm Regal, das Gucken und Wählen. Ich kann das verstehen, mir hat das auch mal was gegeben, jetzt bin ich drüber weg“, sagte der Typ, zündete sich eine Zigarette an und gab seinem Hund ein Stück Toblerone.

„Was hat dir das gegeben?“, fragte sie.

„Belohnungskick für die ganze Maloche. Der Supermarkt gibt dir das Gefühl, du hast die Wahl, wenn dir das Gefühl sonst im Leben abgeht. Is’aber fauler Zauber.“ Er zog sich die Mütze tiefer ins Gesicht.

„Das Einzige, was mir am Einkaufen Spaß macht, ist zu gucken, was die anderen im Wagen haben“, sagte sie.

Er schaute mit glasigen Augen zu ihr auf:

„Echt jetzt? Das hat mich immer krass deprimiert, du siehst dann ja direkt den Abend vor dir, den die Person gleich mit sich verbringt.“

Sie verschränkte die Arme und nickte:

„Werktag-Dinner vor der Glotze, die Fleischwurst auf dem Aufbackbrötchen, an dessen kantiger Kruste man sich immer den Gaumen verletzt.“

Er winkte ab:

„Ey, es ist o. k., ich verurteile niemanden für seinen Feierabend und so ein Aufbackbrötchen kann dir zumindest nicht das Herz brechen.“

Als ich ein Kind war, durfte ich mir etwas bei Karstadt in der Spielwarenabteilung aussuchen, wenn ich eine strapaziöse Situation, wie einen Zahnarztbesuch, hinter mich gebracht hatte – und wenn ich mit meiner Oma zu Opas Grab auf den Friedhof fuhr, bekam ich zu jeder Jahreszeit ein Eis auf der Hinfahrt am U-Bahnhof Hoheluftbrücke und auf der Rückfahrt noch eines. Die Auswahl am Kiosk war groß und bunt.

Meine besten Freundinnen kamen aus Jugoslawien. Sie nahmen mich 1984 zum ersten Mal mit nach Slatine, ein Dorf auf der Halbinsel Ciovo. Es gab nur manchmal Eis und dann nur ein Eis am Stiel und das hieß Eis, es gab eine Sorte Schokolade, die hieß Schokolade und eine Limonade, die hieß Limonade …

Das Eis war weiß und schmeckte nach Milch und der Junge, in den ich sechs Wochen lang verliebt war, trug den ganzen Sommer über dasselbe „Lord Extra“-T-Shirt. Während es nach dem Waschen auf der Leine zum Trocknen hing, lief der Junge mit freiem Oberkörper in seiner roten Badehose herum.

Es war der beste Sommer meines Lebens und ich wollte nie wieder woanders Urlaub machen. Der Zauber endete, als 1991 der Krieg ausbrach. Im Jahr davor wussten wir wegen der Inflation nicht wohin mit den ganzen Geldscheinen. Den Euro gibt es in Kroatien zwar noch nicht, volle Regale, alles zu kaufen und Partybilligtourismus aber schon lange – und in der Tiefkühltruhe meines Supermarktes liegen drei verschiedene Sorten gefrorenes Cevapcici zur Auswahl.

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. In der taz schreibt sie im Zwei-Wochen-Takt über fragwürdige Aussagen eigener und fremder Art.