Die „globale°“ überwindet die Idiotie der Identität

Mit 17 Lesungen und Debatten am Samstag und Sonntag geht das diesjährige Festival für grenzüberschreitende Literatur zu Ende

Von Benno Schirrmeister

Literatur ist universell – es gibt sie wirklich überall –, andererseits immer so speziell, dass sie in ihrer Originalsprache gefangen scheint, die sie selbst konstituiert, indem sie ihre Grenzen erweitert. Also überwindet.

Merkwürdig also, dass die Bremer „globale°“ seit 2007 das einzige deutsche Festival ist, das sich ausdrücklich grenzüberschreitender Literatur widmet. Literatur also, an und in der klar wird: Identität, egal durch welche Fantasmata (Nation, Rasse etc.) erzwungen, „n’est qu’idiotie“, ist nur Idiotie. Explizit schreibt das Alexis Jenni in seinem Roman „Die französische Kunst des Krieges“ von 2011. Am Samstag, 16.30 Uhr, kann man mit ihm im Goetheplatz-Theater den Gang ins Totenreich des wie auch immer kollektiven Unbewussten wagen, wohin Frankreich nicht den Militarismus, aber dessen Greuel verlegt hat, zumal jene des Indochina-Kriegs, bei dem – grenzüberschreitend – Ex-Wehrmachtslandser und Angehörige der Grande Armée ab 1946 gemeinsam gemetzelt und gemordet haben. Zwischendurch gibt’s ein bisschen sehr heteronormativen Sex.

Ehrlich gesagt: Mir wäre das zu viel des Grauens am Nachmittag, und deshalb wirkt der Termin im Brauhauskeller attraktiver, wo ab 16 Uhr Tomer Gardis erzkomische Schlageroperetta „Die Feuerbringer“ läuft – ein ausgezeichnetes Hörspiel, das einen verkrachten Ex-Schlagersänger zum Integrationskurslehrer schlagerbegeisterter Geflüchteter werden lässt, die zu dessen Verzweiflung partout falsch ausgesprochene Wörter wie „posto-traumatisshe Belas-Tungestörung“ ins Herz-Schmerz-Liedgut übertragen wollen.

Volle 17 Termine hält das Programm bis Sonntag bereit. Es treten Superstars wie Irene Dische auf und Promis wie Herfried Münkler oder Volker Weidermann. Interessanter mindestens als dessen banaler literar-historischer Thriller „Träumer“ dürften Entdeckungen wie Viktorie Hanišová sein. Die Frau aus Prag liest am Sonntag ab 13.30 Uhr im Goethe-Theater aus „Anežka“. Der Roman erzählt analytisch-kühl, wie am verinnerlichten gesellschaftlichen Hass und an der Identitätskonstruktion, in die das Kind gepresst wird, die Beziehung zwischen Titelfigur und ihrer Adoptivmutter scheitert. Und wie sich in diesem Scheitern das rassistische Vorurteil zu bestätigen scheint. Quälend, traurig und auch deshalb wahre Literatur.