Hilfe, der Senator kommt!

Umweltsenator Kerstan versucht in Mümmelmannsberg, die Sorgen der AnwohnerInnen wegen des Dioxin-Funds auszuräumen. Viele Fragen müssen aber zunächst offen bleiben

Wenn die Männer in weiß kommen, beschleicht AnwohnerInnen ein mulmiges Gefühl Foto: Maximilian Bube/dpa

Von Philipp Effenberger

„Meine Tochter ist dort auf dem Boden gekrabbelt und hat sich danach die Finger in den Mund gesteckt. Ich mach’mir Sorgen“, sagt eine Anwohnerin auf der Infoveranstaltung zu Hamburgs größtem Dioxin-Fund in der Boberger Niederung. Sie und ihre Tochter seien damals nur ein paar Meter von der Fundstelle entfernt gewesen.

Knapp 300 AnwohnerInnen stellen am Dienstagabend in der Aula der Stadtteilschule Mümmelmannsberg ihre Fragen. Wie gefährlich ist das Baden im Boberger See? Sind auch die Boberger Dünen betroffen? ExpertInnen der Umwelt- und Gesundheitsbehörde informieren über die Folgen des Gifts.

„Das Grundwasser ist in Ordnung“, sagt Umweltsenator Jens Kerstan (Die Grünen). Wegen der angrenzenden Deponie Havighorst, in Mümmelmannsberg auch „Arsenhügel“ genannt, werde hier regelmäßig kontrolliert. In Wasser und Luft lagere sich unbedenklich wenig Dioxin ab, dafür im Boden umso mehr. Gefährlich sei es, im kontaminierten Bereich Pilze, Beeren und Fische zu essen. „Aber gibt es überhaupt Pilze und Beeren bei der Böschung?“, fragt Kerstan. „Ja!“ schallt es empört aus dem Publikum zurück.

Die Böschung, an der die hohen Dioxin-Werte gemessen wurden, ist wegen weiterer Bodenuntersuchungen großräumig abgesperrt. „Die Männer in weiß“, wie eine Anwohnerin die BehördenmitarbeiterInnen in den weißen Schutzanzügen nennt, „machen mir Angst“.

Viele drängende Fragen zu Dioxin beantwortet Kerstan in den ersten Minuten: „Spazieren in der Boberger Niederung und den Dünen ist ungefährlich.“ Ebenso das Baden in den Seen. „Mein Wissen zu Dioxin ist aber nur angelesen“, gibt Kerstan mehrmals zu. „Ich kann keine Detailfragen beantworten.“ Er verweist auf die sechs anwesenden ExpertInnen der Behörden.

Dioxin ist ein Sammelbegriff für etwa 200 ähnlich aufgebaute chlorhaltige Dioxine und Furane. Sie lagern sich vor allem im Boden ab. Menschen nehmen Dioxine zu 95% über die Nahrung auf.

Bis zum Verbot 1989 war Dioxin ein Abfallprodukt bei der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln.

Dioxin-verseuchte Abfälle des Unternehmens Boehringer fand man Anfang der 1980er-Jahre auf Hamburger Mülldeponien. Rund 1.600 erkrankte MitarbeiterInnen und verseuchtes Grundwasser waren die Folgen.

Mit rund 160 Millionen Euro kam Boehringer für die Schäden auf.

„So ein großes Aufgebot mit Senatoren hier in Mümmelmannsberg – das macht mir eher Sorgen“, sagt eine Anwohnerin. Viele klopfen zustimmend auf die Tische. Einige sprechen von einer hohen Krebsrate und verbreiteten Atemwegserkrankungen im Stadtteil. Verlegen antworten die BehördenvertreterInnen, dass dazu leider keine vergleichenden Erhebungen vorliegen.

Die Infoveranstaltung zum Zufallsfund des Dioxins lässt viele Fragen offen. Das Gebiet galt bisher als unbelastet, da in den 80ern und 2006 in der Nähe Proben entnommen wurden, die unbedenklich waren. Welches Ausmaß die Dioxin-Belastung im Naturschutzgebiet annehmen wird, ist unklar.

Auch die Schuldfrage ist noch unbeantwortet. Allerdings gibt es deutliche Hinweise auf den Pflanzenschutzmittel-Produzenten Boehringer. „Der chemische Fingerabdruck des Dioxins verrät, dass es sich um ein Abfallprodukt bei der Herstellung von Pflanzenschutzmittel handelt und Boehringer war der einzige Produzent in Hamburg“, sagt der Umweltsenator. Der Konzern zeige sich bis jetzt kooperativ. Ein Treffen sei in den kommenden Wochen geplant.