taz🐾thema
: satt & selig

die verlagsseiten der taz

Von der Arktis bis zur Arche Noah

Um Anregungen für ein ausgefallenes Festessen zu finden, muss man nicht weit in die Ferne reisen. Zeitreisen tun es auch. Das Buch „Wohl bekam’s! In hundert Menus durch die Weltgeschichte“ macht es möglich. Interessant sind nicht zuletzt die improvisierten Gelage

:

Wohl bekam’s! In hundert Menus durch die Weltgeschichte. Herausgegeben von Tobias Roth und Moritz Rauchhaus. Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2018, 352 Seiten, gebunden, 28,80 €.

Von Lars Klaaßen

Zum Püree von roten Bohnen mit Croûtons wurde eine Elefantensuppe serviert. Danach folgten unter anderem gebratenes Kamel à l’Anglaise, Kängu­ru­ragout und gebratenes Bärenkotelett an Sauce Poivrade. Im nächsten Gang fanden sich unter den kulinarischen Offerten eine Wolfskeule an Sauce Chevreuil und Antilopenterrine mit Trüffeln. Dieser Auszug aus der Karte des Pariser Cafés Voisin vom 25. Dezember 1870 belegt, dass man nicht allzu weit in die Ferne schweifen muss, um Anregungen für ein ausgefallenes Weihnachtsmenü zu finden. Eine kleine Zeitreise genügt. Das exotisch anmutende Festmahl lässt zudem erahnen, warum Frankreich bis heute Maßstäbe für ambi­tio­nierte Kochkünste setzt. Doch was auf den ersten Blick wie ein Exzess des Überflusses aussieht, war der Not geschuldet. Seit dem Spätsommer des 1870 belagerten deutsche Truppen die Stadt. In Paris gingen die Vorräte zur Neige, weshalb man im Dezember die zoologischen und botanischen Gärten für die Metzger öffnete.

Dieses und 99 weitere Menüs haben Tobias Roth und Moritz Rauchhaus in ihrem Buch „Wohl bekam’s!“ gesammelt. Alle Menüs des Buches werden von kleinen Essays begleitet und eingeführt. Die Bedeutung des Anlasses, merkwürdige Begebenheiten, die sich zugetragen haben, illustre oder unerwartete Gäste, aber auch bestimmte Pointen der Speiseplanung kommen hier zur Sprache – als Erläuterung, aber auch als Steigerung des Genusses. Nicht zuletzt politische Winkelzüge, die ihren Weg auf die Teller gefunden haben, gilt es hier zu bedenken. Dass etwa zur Begrüßung der siegreichen Truppen aus Frankreich in Berlin am 17. Juni 1871 Fisch aus dem Rhein auf den Tisch kam, dürfte kein Zufall gewesen sein.

Neben dem Pariser Beispiel findet sich ein weiteres Weihnachtsmenü in diesem Buch. Vizeadmiral Sir Horatio Thomas Austin brach 1850 auf, um die verschollene Expedition von Konteradmiral Sir John Franklin zu finden. Diese Suche war eine der größten Rettungsaktionen des 19. Jahrhunderts – blieb aber erfolglos. Das wusste Austin noch nicht, als er zu Beginn des ersten Winters auf seinem planmäßig im Packeis festgefrorenen Dreimaster „Resolute“ Weihnachten feierte. Die Umstände in der Arktis waren – wie 1870 in Paris – widrig. Auf der Speisekarte des Schiffes zeigt sich dies deutlicher als 20 Jahre später im Café Voisin. Auf der Karte dominierte Hammel – als Braten, als Pastete, als Hackfleisch … Teile der „Resolute“ übrigens, 1879 außer Dienst gestellt, wurden zu drei Schreibtischen verarbeitet. Deren größter steht bis heute im Oval Office des Weißen Hauses. Sein Anblick bietet immer wieder Anlass, an Hammel zu denken.

Lokalnachrichten: Adventsexkursionen in Berlin

Die Markthalle Neun kündigt ihre diesjährige Weihnachtsmarkt-Reihe 
mit Panettone, Käsefondue und Zimtduft an: In der Kreuzberger Eisenbahnstraße 42/43 wird während der Adventszeit an jedem Freitag und Samstag von 12 bis 18 Uhr beziehungsweise von 10 bis 18 Uhr gefeiert. Mit handwerklichen Produkten aus kleinen, jungen Manufakturen, von der handgemachten Wurst bis zu handgemachter Keramik, von Naturkosmetikbis zum Naturwein für den Weihnachtsschmaus. Die Veranstalter versprechen, dass auf die Besucher dort garantiert kein Plastikwunderland wartet, dafür aber Glühwein und Backstubenlebkuchen. Am Sonntag, den 2. Dezember wird, ebenfalls in der Markthalle, von 12 bis 18 Uhr der Naschmarkt stattfinden: An der 25. Ausgabe der Veranstaltung nehmen rund 50 Lebensmittelhandwerker und Manufakturen teil und füllen die Markthalle Neun mit Weihnachstkreationen – von Marzipan bis zu Turrón und Torrone. Zwei Wochen darauf, am Sonntag, dem 17. Dezember, paaren sich am selben Ort von 10 bis 16 Uhr der Merry Breakfast Market mit Weihnachtsgeschenkeeinkauf.

Wie man nachhaltig und gesund lebt, ohne auf etwas verzichten zu müssen, zeigt am 17. und 18. November der Heldenmarkt. Die Messe für alle, die etwas besser machen wollen, hat samstags von 10 bis 20 Uhr und sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. In der Station Berlin, direkt am U-Bahnhof Gleisdreieck (Luckenwalder Str. 4–6, 10963 Berlin), präsentieren knapp 200 Aussteller nachhaltige Produkte und Dienstleistungen aus nahezu jedem Lebensbereich, Biolebensmittel sind hier prominent vertreten. Tickets kosten an der Tageskasse 10 Euro (ermäßigt 8 Euro) (ermäßigt), im Vorverkauf 5 Euro: https://www.heldenmarkt.de

Der Zeitraum, aus dem die insgesamt 100 Menüfolgen stammen, reicht von dem assyrischen König Aššur-nâsir-apli II., der seine neue Residenz am Tigris einweiht, bis zur Hochzeit von Kanye West und Kim Kardashian in Florenz und zum letzten Dinner Barack Obamas als Präsident.

Eine Weihnachtsgans sucht man hier übrigens vergeblich. Die Lektüre regt zwar nicht in jedem Fall zum Nachkochen an, dank der Zeitreise aber unbedingt die kulinarische Fantasie. Die Gänge der Weltgeschichte zeigen über die Jahrhunderte: Gegessen wird immer. Umso mehr und umso lieber, wenn es etwas zu feiern gibt.