aufgestanden
: Die Elphi-Flüchtlingskrise

Sicher: Es gibt viele, viele Menschen mit einem bedauernswerteren Dasein als Christoph Lieben-Seutter eines zu erdulden hat: Intendant eines anhaltend wie von selbst brummenden Konzerthauses, wahrgenommen weltweit, sind seine täglichen Herausforderungen wohl von der Art, die anderen als bloßer Luxus erscheinen dürften. Aber was wissen wir schon, diese anderen?

Nehmen wir jenen Abend neulich, als wieder mal Jazz gegeben wurde im nun wirklich mal hohen Haus am Hafen: Die Combo „Ronin“ um den Schweizer Nik Bärtsch und der Pianist Vijay Iver mit seinem Sextett waren gebucht, der Saal ausverkauft, oder zumindest beinahe. Was dann geschah, erschütterte den Konzertveranstalter-Veteranen Karsten Jahnke, so zumindest ging die Erzählung, die den lokalen Blätterwald am lautesten rascheln machte: Hunderte von Zuschauern verließen den Saal bei laufendem Konzert, „nach einer kurzen Weile waren die Ränge nur noch halb voll“ (Mopo). Und weil der Weltklasse-Saal nun mal weltklasse konstruiert ist, geht so ein „Massenexodus“ – so schrieb allen Ernstes das Abendblatt – maximal indiskret vor sich: Man bekommt mit, wenn andere sich hinauszuschleichen versuchen.

So weit, so alt bekannt, denn neu war wenig an dieser Flüchtlingskrise. Solche Bilder gehören von Anfang an zur Elphi, und ebenso lange dienen sie drin Gebliebenen zur dann doch recht kostengünstigen Distinktion: Seht doch, diese Dilettanten! Im konkreten Fall dann auch noch richtig aufgeladen mit Xenophobie: Klar können diese Banausen nur aus der Fremde gekommen sein, das beweisen ja die Busse mit exotischen Kennzeichen vor dem Konzerthaus. Da klingt man dann auch in Kulturredaktionen schnell mal wie ein Dorfbürgermeister in Sachsen-Anhalt.

Und Lieben-Seutter? Mag einerseits nicht ausgerechnet die Menschen schelten, deren zuhauf in Elphi-Sitze geparkte Hintern den seinen im Intendantenstuhl halten; gerade erst ist sein Vertrag vorzeitig verlängert worden. Und trat trotzdem beim nächsten Nicht-Klassik-Konzert ans Mikro, um für besseres Benehmen zu werben. Aber um die Qualität seines Publikums wird er sich irgendwann kümmern müssen – so wie um die des Programms, wenn einst nicht mehr das Haus selbst die Attraktion sein sollte.

Veranstalter Jahnke wiederum, der sich – sinngemäß – damit zitieren ließ, da hätte er doch lieber nur die Hälfte an Karten verkauft? Der könnte diese Pose sehr leicht mit Taten unterfüttern: Muss denn jeder seiner Künstler in der Elphi auftreten? Alexander Diehl