Vorsicht, Sau von rechts!

Wildfleisch kriegt man in Brandenburg an jeder Ecke. Wildunfälle sind auch nicht selten. Wenn es da mal keinen direkten Zusammenhang gibt

Von Philipp Maußhardt
(Text) und Karoline Löffler (Illustration)

Vor zwei Wochen traf ich bei uns im Dorf eine Nachbarin, die sich gerade ein neues Auto ­gekauft hatte. Das Vorgängermodell war nach dem Crash mit einem Rehbock nur noch ein Totalschaden. Sie wirkte gelassen, als sie davon erzählte. „Das passiert doch ständig“, sagte sie und berichtete, wie die herbeigerufene Polizei das verletzte Tier mit drei Schüssen getötet habe. Der Jäger, der den Wald um die Unfallstelle gepachtet hat, habe den Kadaver schließlich mit nach Hause genommen.

Mir kamen die vielen „Wildfleisch zu verkaufen“-Schilder an Hofeinfahren und Gartentürchen in Brandenburg in den Sinn. So wenige Menschen, so viele Jäger. Gibt es anderswo nicht, dachte ich. Umso erstaunlicher ist es, dass Wildfleisch nur ganz selten in Gaststätten angeboten wird.

Mehr als 228.000 überfahrene Wildtiere, so lautet die traurige Statistik des Deutschen Jagdverbandes für das Jahr 2017. Bundesweit sind am häufigsten Rehe in die Unfälle verwickelt, nämlich 86 Prozent. In Brandenburg ist das anders, da laufen Autofahrern öfter Wildschweine vor die Stoßstange.

Unfälle mit Tieren können für Auto­fahrer*innen traumatisch sein. Die Aufprallgeräusche, der Blick in aufgerissenen Augen, das Warten auf die Polizei neben einem verendenden Tier. Man vergisst das nicht mehr so schnell.

Dennoch ist mir von allen Fleischarten das Wild die liebste. Nicht nur weil es so gut schmeckt. Vor allem, weil die Tiere ein Leben in Freiheit genießen und sich ihr Futter selbst suchen. Und im besten Fall werden sie in Sekundenschnelle mit einem Blattschuss niedergestreckt. Reh, Wildsau & Co. sind für die industrielle Massenproduktion völlig untauglich.

Leider sind sie aber auch untauglich für den modernen Straßenverkehr. Sie verstecken sich hinter Alleebäumen, und plötzlich rennen sie los. Seit ich in Brandenburg wohne, habe ich mein Fahrverhalten angepasst und drossle beim Einsetzen der Dämmerung automatisch die Geschwindigkeit.

Zutaten

1 kg Wildschwein aus der Keule, in Würfel geschnitten

500 g Zwiebel

200 g Möhren

200 g Knollensellerie

1 Stange Lauch

100 g Tomatenmark

1 l Rotwein

1 l Wildfond (ersatzweise gekörnte Brühe)

100 g Butterschmalz

1 gehäufter EL Garam Masala

Salz

Pfeffer

1 Bund Petersilie

Zubereitung

Fleisch in einem großen Bräter bei starker Hitze in Butterschmalz scharf anbraten, bis es gut Farbe angenommen hat. Das klein geschnittene Gemüse dazugeben, weiter scharf anrösten und immer wieder vom Rand der Pfanne lösen. Tomatenmark zugeben und weiter anbraten.

Wenn am Pfannenboden die Masse ansetzt, mit einem Holzlöffel abkratzen und etwas Rotwein zugießen. So lange wiederholen, bis sich die Zwiebeln fast aufgelöst haben. Dann den restlichen Rotwein und den Fond aufgießen, Gewürze zugeben und im Backofen bei 180 Grad oder im Bräter auf dem Herd bei mittlerer Hitze ca. anderthalb Stunden köcheln lassen. Ab und zu umrühren.

Die Flüssigkeit sollte am Ende deutlich reduziert und zu einer sämigen Soße geworden sein. Mit gehackter Petersilie überstreuen und servieren. Gut passen gebratene Semmelknödel.

Denn jeder Autofahrer ist auch ein Jäger. In meiner persönlichen Statistik sind Millionen von Insekten zu beklagen, leider auch ein Dutzend Frösche, ein Dachs, ein Reh und ein Hase. Das ist nach 42 Jahren Führerschein eine recht moderate Opferquote, trotzdem fühle ich mich am globalen Insektensterben mitschuldig.

Auch um den Dachs und das Reh tut es mir von Herzen leid. Nur dem toten Feldhasen, dem weine ich keine Träne nach. Es war kurz vor Weihnachten, ich hatte noch kein Geschenk für meine Eltern, und mein Geldbeutel war leer. In diesem Moment lief er vor rechts aus dem Straßengraben direkt in mein Auto. Als ich anhielt und nachschaute, lag der Hase mausetot am Straßenrand, ohne sichtbare Verwundung. Er hatte sich wohl nur den Schädel an der Stoßstange angeschlagen und war sofort tot.

Ich legte ihn in den Kofferraum und fuhr zu einem befreundeten Förster, der mir beim Ausnehmen half und beim Abziehen des Fells. Meine Eltern freuten sich ein paar Tage später über die „pfiffige Idee“ ihres Sohnes, ihnen einen Hasenbraten zum Festtag zu servieren. Über die Herkunft schwieg ich lieber.

Offiziell darf Unfallwild nicht „dem Verzehr zugeführt“ werden, außer es wurde mit einem Fangschuss „erlöst“ und dann dem Amtstierarzt vorgelegt. Aber warum soll das Ragout eines überfahrenen Wildschweins schlechter sein als das eines geschossenen? Meinem Hasen hat man es jedenfalls nicht angemerkt, ob er von einer Kugel oder von einer Stoßstange erlegt worden war.

Wo das Wild überfahren oder geschossen wurde, ist hingegen weniger egal. Ausgebuffte Füchse unter den Fleischliebhabern wissen nämlich, dass Wildschwein nicht gleich Wildschwein ist. Je nachdem, wo es seine Weidegründe hatte, hat es sich von naturbelassenen Eicheln oder von glyphosphatverseuchten Maisfeldern ernährt.

Jeder Autofahrer ist ein Jäger. In meiner Statistik sind Millionen von Insekten zu beklagen, ein gutes Dutzend Frösche, ein Dachs, ein Reh und ein Hase

In Berlin machte kürzlich ein 80-jähriger Hobbymetzger Schlagzeilen: Er hatte am Stadtrand ein Wildschwein erschlagen und es auf einem Supermarktparkplatz geschlachtet. Das Tier war höchstwahrscheinlich gesünder als ein in den endlosen Monokulturen Brandenburgs erlegtes Tier.

Bei mir in Brandenburg hallt jetzt, im Herbst, häufig mal ein Schuss durch die abendliche Stille. Es könnte mein nächster Rehrücken sein, denke ich dann.

Der Fleischlieferant für das nachfolgende Rezepts wohnt ein Dorf weiter und macht auf mich einen seriösen Eindruck. Er habe das Schwein im Sommer geschossen, versicherte er mir. Ich zahlte und bedankte mich. Und trotzdem schielte ich aus den Augenwinkeln beim Hinauslaufen an die Stoßstange seines Autos. Ob ich daran nicht doch ein Borstenhaar entdecken würde.

Ein Schwabe in der Prignitz

Kulinarisch wurde unser Autor in Frankreich und Süddeutschland sozialisiert. An dieser Stelle wird einmal im Monat berichtet, wie er sich die schlichtere Lebensmittelrealität Brandenburgs erschließt.