Risikofreudige Rechenmaschine

Fabiano Caruana fordert Magnus Carlsen im Kampf um den WM-Titel heraus. So nah wie der US-Amerikaner ist dem Titelverteidiger in der Weltrangliste schon lange keiner mehr gekommen

Konkret am Brett: Fabiano Caruana Foto: Hartmut Metz

Von Hartmut Metz

Der Weltmeister hat Respekt: „Fabiano Caruana ist die Nummer zwei der Welt. Kein Gegner ist schwerer. Mit Lewon Aronjan hat er mich am häufigsten überspielt“, sagt Magnus Carlsen aus Norwegen vor dem Auftakt der Schach-WM, die am Freitag in London beginnt. Der Italoamerikaner ist dem seit 2010 meist mit großem Abstand führenden Carlsen mit einer Elo-Zahl von 2832 auf die Pelle gerückt. Läppische drei Punkte – ein Leistungsunterschied von nicht einmal 0,4 Prozent. In den zwölf WM-Partien wird das kaum ins Gewicht fallen. Holt sich Caruana den WM-Titel, wird er Carlsen an der Spitze der Weltrangliste ablösen. „Ich hatte durchwachsene Jahre, ich hatte gute Jahre – aber dieses Jahr ist bisher mein bestes“, hat er vor Kurzen gesagt. Es könnte ein perfektes werden.

Den stoischen Titelverteidiger schreckt dieses Szenario allerdings nicht allzu sehr. Der risikofreudige Caruana hat zwar 2018 mehr Turniere als der Weltmeister gewonnen, aber Carlsen im direkten Duell zuletzt vor mehr als drei Jahren schlagen können. „Fabiano ist nicht derjenige, der am schwersten zu schlagen ist, denn er geht Risiken ein“, stellt der Großmeister aus Lommedalen mit Blick auf die positive Bilanz von 11:5 Siegen (bei zahllosen Remis) zu seinen Gunsten fest. Dennoch weiß es der 27-Jährige zu verschmerzen, dass er nicht als haushoher Favorit in die WM geht – so wie er es beim WM-Triumph 2013 gegen den Inder Viswanathan ­Anand und der Titelverteidigung 2016 gegen den russischen Außenseiter Sergei Karjakin war.

Beim letzten gemeinsamen Turnier-Auftritt in der US-Schach-Hochburg St. Louis belegten die WM-Finalisten zusammen mit dem Armenier Aronjan Platz eins knapp vor Schachrijar Mamedjarow. Der Weltranglistendritte aus Aserbaidschan glaubt, dass Carlsen stärker ist als Caruana. „Dennoch halte ich zu Fabi. Es wäre gut für die Schachwelt, wenn er gewinnt“, meint Mamedjarow. Der Weltmeister wird von vielen Fans als Megastar vergöttert, seine zuweilen mürrische Art verstört mittlerweile jedoch viele. Der Weltmeister hat wenig Probleme mit seinen Verfolgern und findet neben Caruana auch die meisten anderen Asse der Denkbranche durchweg sympathisch. So hat er es als launiger Interview-Partner im Podcast mit dem norwegischen Schach-Journalisten Tarjei Svensen jedenfalls gesagt.

Während sich Caruana „auf die Herausforderung freut“, zeigt sich Carlsen verhalten optimistisch: „Meine letzten Partien gegen ihn liefen gut. Es ist schon eine Weile her, seit ich gegen ihn in Verlustgefahr gewesen bin. Aber ein WM-Kampf ist immer schwer. Er hat in letzter Zeit gut gespielt, aber nicht gegen mich. Ich habe in letzter Zeit nicht gut gespielt, aber gegen ihn lief es gut. In jedem Fall werde ich wacher und aufmerksamer sein, als ich es in letzter Zeit war!“

Gegen einen erneuten Tiebreak nach zwölf Partien, so wie 2016 als Sergei Karjakin sein Herausforderer war, hätte der Titelverteidiger wenig einzuwenden. Bei verkürzter Bedenkzeit sieht er sich im Vorteil. Der in Miami geborenen Caruana, der nach Bobby Fischer der zweite Weltmeister aus den USA werden könnte, gilt als Rechenmaschine. Das, so Carlsen, komme ihm entgegen: „Caruana spielt sehr konkret, aber beim Blitz- und Schnellschach hat man keine Zeit, viel zu rechnen. Es ist besser, wenn man einfacher spielt und seiner Intuition vertraut.“

Caruana hielt sich vor der Pressekonferenz mit dem neuen Präsidenten des Schach-Weltverbandes Fide, Arkadi Dworkowitsch, mit markigen Ankündigungen zurück. Der Russe, einst Vizepremier unter Präsident Dimitri Medwedjew, war vor einigen Wochen auf den Kalmücken Kirsan Iljumschinow gefolgt, der wegen seiner Geschäfte mit der syrischen Regierung von Baschar al-Assad auf eine US-Sanktionsliste gesetzt worden und nicht länger tragbar war. Dworkowitsch versprach vor seiner Wahl, künftig für mehr Sponsoren zu sorgen. In London geht es nun um ein Preisgeld von einer Million Euro. In Zukunft soll es mehr Kohle geben.