Verdichteter Sondermüll

Doron Rabinovici und Florian Klenk stellten im Wiener Akademietheater ein Buch vor, das die Sprache der Populisten bekämpft, indem es sie beim Wort nimmt

Von Uwe Mattheiß

Es ist nicht so, dass man diese Sätze nicht kennen würde. Im täglichen Nachrichtenzyklus sind sie unver­meidlich. Gegen Provokationen und die widerwärtige Emotionalisierung von Rechtspopulismus hilft wegklicken kaum. Die Refresh-Taste führt oft zum nächsten verbalen Explosivkörper. Der Wunsch, sich vom Übel abzuwenden und dagegen zu immunisieren, führt in die kaum vermeidliche Koexistenz mit dem, was bislang unsagbar war. Rechts außen ist das neue Normal. Die Hälfte der ÖsterreicherInnen sieht die mit den Christsozialen koalierende FPÖ mittlerweile zur Regierungspartei „gereift“.

Der Wiener Schriftsteller Doron Rabonivici und Florian Klenk, Chefredakteur der Wochenzeitung Falter, wählen gegen die Gewöhnungseffekte toxischer Ideen einen konfrontativen Ansatz. Ihr im Wiener Akademietheater am Mittwoch vorgestellter Band „Alles kann passieren“ montiert Aussagen von Matteo Salvini, Victor Orbán, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und anderen.

Als Verdichtung scheint die Ideologie der Rechten in ihrer vollen Gestalt auf: Ein schicksalhaftes „Wir“ kämpft gegen Feinde im Inneren wie nach außen. Migration, das sei nur der geopolitische Endkampf um den „Raum“. Antisemitismus wirft endgültig jede Tarnung ab: Rothschild heißt jetzt Soros. Im Medium Buch frisst sich das rechte Gift aufs raue Papier, wo es keine Bildwiederholungsrate wegwaschen kann. In der Lektüre erzielt die Kritik der Sprache kathartische Wirkung. Was tun, wenn Sprechen nicht mehr über Tatsachen kommuniziert, sondern Kommunikation beendet und im „kurzen Prozess“ Tatsachen schafft? Der rechte Schlachtruf „Alles kann passieren!“ beendet auch die freundlich-liberale ­Vision, die allseitige Ausbreitung der Vernunft erlaube es immer mehr, den Gegensatz von Interessen kommunikativ und nicht als Machtfrage zu lösen.

Soll man abermals an die Vernunft appellieren oder kämpfen, und wenn ja, wie? Zu Beginn der Ära Trump gab Michelle Obama die Losung aus: „When they go low, we go high!“ Ex-Justizminister Eric Holder entgegnete: „When they go low, we kick them!“ Rabinovici und Klenk sind entschlossen, „high“ zu gehen. Die Theatralisierung der Politik bringen sie auf der Bühne zur Sprache und vertrauen ihrer Eignung als Wahrheitsdroge weit mehr, als viele Theaterleute es inzwischen tun. Andrea Clausen, Stefanie Dvorak, Sabine Haupt und Petra Morzé schaffen eine atmosphärisch dichte Lesung, die das Bessere im Menschen – soweit anwesend – zu wecken vermag. Die Beschäftigung von Schauspielerinnen ist als maßvoller Verfremdungseffekt stimmig, denn klinisch betrachtet ist Rechtspopulismus eine Neurose, die vermehrt weiße Männer befällt. Allerdings hat das Theater in der habituellen Analyse von Sprechpositionen inzwischen mehr zu bieten.

Den Abend zieren auch seine Gäste. SPÖ-Altbundespräsident Heinz Fischer erinnert alle Österreicher an bessere Zeiten. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, dessen befreiendes „Merde alors!“ als Schlachtruf jeden antipopulistischen Europawahlkampf zieren würde, erhielt freundlichen Applaus. Kein Vergleich aber mit dem Pathos, das Massendemonstrationen ­gegen die erste schwarz-blaue Episode 2000 in Wiener Theater trugen.

Manches bleibt offen. Etwa die Frage nach der Kollaboration konservativer Parteien mit Rechtspopulisten. Den Hindenburg spielt in Wien ein Kanzler mit Schwiegersohnappeal. Unbeantwortet bleibt auch, wie Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen sei. Die „streitbare Demokratie“ ist dem rechtsphilosophischen Diskurs der österreichischen Verfassung von 1920 noch fremd. Dieses Konzept formulierten erst Staatsrechtler, die vom Nationalsozialismus ins Exil getrieben wurden.

Doron Rabinovici: „Alles kann passieren!“ – ein Polittheater“.

Nach einer Idee und mit einem Nachwort von Florian Klenk

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2018,

62 Seiten, 10 Euro