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: Jetzt sind wir drin

„Hereditary – Das Vermächtnis“ (USA 2018, Regie: Ari Aster). Die DVD ist ab rund 13 Euro erhältlich

Die Großmutter stirbt. So was kommt vor. Beim Trauergottesdienst macht Annie, die Tochter (Toni Colette), Andeutungen über Geheimnisse, die sich womöglich hinter dem verschlossenen Charakter ihrer Mutter verbargen. Die Enkelin Charlie (Milly Shapiro) malt und gluckst und macht mit ihrem finsteren Blick aus zerknautschtem Gesicht einen sehr unheimlichen Eindruck. Peter, der Enkel (Alex Wolff), ist in der Spätpubertät, schwierig genug. Nur Steve (Gabriel Byrne), Ehemann, Vater, Therapeut von Beruf, macht einen ausgeglichenen Eindruck. Jedenfalls sieht er sich lange recht stoisch an, wie die Familie vor seinen Augen zerfällt. Zerfallen ist freilich ein allzu harmloser Ausdruck für das, was Ari Aster ihr in seinem Debütfilm zufügt, ohne mit der Wimper zu zucken.

Der Horror nähert sich zunächst auf natürlichem Wege. Eine Party, eine Nussallergie, eine nächtliche Fahrt und nichts ist mehr, wie es war. Das Unglück nähert sich scheinbar von außen, als Verkettung von Umständen, an denen so recht keiner Schuld trägt. Dass sich die Vorwürfe dennoch ins Innere des familiären Zusammenseins bohren, ist klar. Und wie Aster das inszeniert, mit Sinn für das schleichende Nahen und Sich-am-Alltäglichen-Nähren von Psychopathologien, das ist mehr als gekonnt. Mit großer Genauigkeit und Geduld wird dem Aufruhr der Boden bereitet. Präzise sind die Einstellungen komponiert und kadriert, mit einer Liebe, die fast an Wes Anderson erinnert, vom ersten Bild an.

Annie ist Künstlerin. Ihre Spezialität sind Miniaturinstallationen, für die sie häusliche Szenen puppenstubenhaft nachbaut. Mit einer Kamerafahrt in eine solche Puppenstube hinein beginnt der Film, und damit, dass sich in dieser Fahrt die Szene unbemerkt realistisch belebt. Eine Annäherung durch die vierte Wand, die man erst sieht, bis sie sich im Rücken des Betrachters dann schließt. So thematisiert der Horrorfilm sich und sein Verfahren, die Betrachterin an der Gurgel zu packen: Der Blick zurück auf die Welt, die wir kennen, ist für die Dauer des Einschlusses ins Horrorfilmhaus nun verstellt. An den Puppenstubenszenen wird weiter gebaut: Aber jetzt sind wir drin.

Nach und nach kommt es dicke. In der Kiste mit den Großmutter-Sachen finden sich Alben und Bücher, die Schlimmes ahnen lassen. Und es bleibt nicht bei der Ahnung. Eine herzliche Frau, die um ihr Kind trauert, lädt Annie zu einer Séance. Da wackelt das Glas, da flackert das Licht, da hängt dann irgendwann wer unter der Decke, es brennt, böse Geister mischen sich auf sehr unerfreuliche Weise in die inneren Angelegenheiten der Familie. Man merkt bald, dass Ari Aster die Geschichte des Horrorfilms in- und auswendig kennt. Er zieht nach dem stillen Beginn in den zwei Stunden, die „Hereditary“ lang ist, wirklich alle Register.

Der Film wurde in den USA von der Kritik gefeiert, als neuer Klassiker auf Augenhöhe mit „Der Exorzist“ und anderen Filmen, die dem bloßen Schrecken einen mehr oder minder metaphysischen Überbau geben.

Je unverstellter freilich das Übersinnliche Zutritt ins Haus, in den Film, in die Familie erlangt, desto stärker drängt sich auch die Frage auf, ob Aster nicht des Bösen zu viel will, ob „Hereditary“ nicht weniger ein Horrorfilm ist als eine Horrorfilm-Enzyklopädie: elegant, virtuos, aber in der Summe weniger interessant als in den einzelnen Teilen. Ekkehard Knörer