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Die Haute Cuisine des Sozialismus

Georgien ist das Italien Osteuropas – kulinarisch gesehen. Ein Schmelztiegel von Esskulturen, basierend auf frischen Zutaten, mit einer einfachen Küche. Endlich wird sie auch im Westen entdeckt

Borschtsch   Foto: Yuki Sugiura

Von Jörn Kabisch

Als ich das erste Mal in einem georgischen Restaurant war, habe ich mich sofort übergessen. Zur Vorspeise gab es Chatschapuri, Hefeteigfladen, die mit Käse gefüllt sind, mit gewürztem Hackfleisch, Kartoffeln oder Spinat. Sie werden meist noch mit Käse überbacken. Diese georgische Pizza machte so einen Appetit. Ich vergaß, dass wir noch Salate bestellt hatten, Borschtsch und den Lammeintopf mit sauren Pflaumen.

Bis heute genießt die Küche des ehemaligen Ostblocks im Westen keinen guten Ruf. Es hängt ihr noch etwas Postsowjetisches an. Nehmen wir zum Beispiel Ostdeutschland. Dort stehen zwar nicht mehr Würzfleisch und Soljanka auf der Karte, aber das Essen ist zerkocht und fleischlastig geblieben. Hauptsache, es ist viel auf dem Teller. So das alte Vorurteil, das nur oft genug bestätigt wird.

„Iran, Russland, Türkei: All diese Einflüsse lassen sich in der Küche finden“

Olia Hercules

Ich bin vom Gegenteil überzeugt worden, als ich georgisch aß. Im ersten Moment könnte man drauf kommen, es handele sich um eine russisch-türkische Fusion-Küche. Da gibt’s Borschtsch, der Eintopf aus Rote Bete und Weißkohl, ebenso wie eine Walnusssauce, die an türkischen Tarator erinnert, oder Auberginengerichte, bei denen man an Baba Ganoush denkt. Und klar, so etwa wie Pelmeni, um zurück in die russische Küche zu gehen, isst man in Georgien auch.

In diesem Jahr sind gleich mehrere Kochbücher über die Region erschienen. „Kaukasis“ stammt von Olia Hercules, sie ist Ukrainerin mit georgischen Wurzeln, lebt in London und gehört zu dem immer größeren Kreis von Köchinnen, die im Kielwasser von Yotam Ottolenghi Bücher auf den Markt bringen, was für Qualität spricht. Auch Hercules hat bei ihm in der Küche gearbeitet. „Georgien“, sagt sie, „ grenzt an die Türkei an, an Iran und Russland. All diese Einflüsse lassen sich in der Küche finden. Aber sie ist trotzdem eigenständig geblieben.“ Sie erzählt, in der sozialistischen Zeit habe es in der ganzen Sowjetunion georgische Lokale gegeben. Für „Kaukasis“ ist sie wieder ans Schwarze Meer gereist und war erstaunt, wie wenig fleischlastig die Küche ist. Ihr Buch, genauso wie „Supra“ von Tiko Tuskadze, legt großes Gewicht auf die Gemüseküche.

In Tuskadzes Buch geht es um das georgische Festmahl. Supra heißt eigentlich Tischdecke, meint aber eigentlich, dass so viele Speisen auf den Tisch gestellt werden, bis man das Tischtuch nicht mehr sieht. „Die Vorspeisenplatten werden nicht abgedeckt, alles bleibt auf dem Tisch, dass man wild durcheinander essen kann“, sagt Levan Khutchua, der Wirt des „Tbilisi“, unter den fünf georgischen Restaurants in Berlin eines der besten. Traditionell gehören dazu auch Musik und der „Tamada“, ein Conférencier, der Toasts ausspricht. Das „Tbilisi“ wird immer wieder für ein Supra gebucht.

Tiko Tuskadze: „Supra – Ein Fest der georgischen Küche“. Ars Vivendi, Cadolzburg 2018, 208 Seiten, 24 Euro

Khutchua erzählt, in Georgien gebe es eine beliebte Legende : „Als Gott die Welt erschaffen hatte, teilte er sie unter den Menschen auf. Die Georgier hatten wieder einmal zu lange gefeiert, gegessen und getrunken. Für sie war nichts mehr übrig. Aber sie verzweifelten nicht, sie machten einfach weiter. Das rührte Gott so, dass er ihnen seinen Lieblingsplatz gab: seinen Garten.“

Die Lage Georgiens sorgt für optimale Bedingungen für den Anbau einer Menge an Obst und Gemüse, auch von Zitrusfrüchten, Tee und Gewürzen. Der Große Kaukasus schirmt das Land gegen kalte Nordwinde ab und das Schwarze Meer sorgt für angenehme Temperaturen. Georgien gilt als Wiege des Weinbaus.

Olia Hercules: „Kaukasis – Eine kulinarische Reise durch Georgien und Aserbaidschan“. Knesebeck Verlag, München 2018, 240 Seiten, 30 Euro

Die Vielfalt an Produkten drückt sich auch in der Küche aus. Dabei stechen aber einige hervor: Granatapfel, Walnuss, Koriandergrün und Auberginen sind Grundzutaten bei vielen Gerichten, die in der Art der Zubereitung aber relativ einfach sind, wenigstens wenn man sich die beiden Kochbücher ansieht. Fleisch wird oft mariniert und dann in den Ofen geschoben, als Eintopf oder als Braten. Beide Bücher führen auch unkomplizierte Rezepte für Gemüsepasten auf, die oft als Vorspeisen auf den Tisch kommen. Auch Tkemali fehlt nicht, eine Pflaumensauce, die zu Fleischgerichten serviert wird.

Die Rezepte sind so ansprechend, man versteht die Lust der Georgier am Tafeln. Tiko Tuskadze erzählt in ihrem Buch, kein Anlass sei dafür zu gering. Einmal reichte, dass die Hündin einer Cousine ihrer Nachbarin Junge bekommen hatte. Es wurde bis in die Morgenstunden gegessen und gefeiert.