Gut gealterter Protopunk

50 Jahre ist es nun her, dass das epochale Album „Kick Out the Jams“ von MC5 erschien – Gitarrist und Sänger Wayne Kramer kam zum Jubiläum mit einer Allstar-Band nach Berlin

So posierte Wayne Kramer von MC5 1969 vor der amerikanischen Nationalflagge Foto: Leni Sinclair/Michael Ochs Archive/Getty Images

Von Robert Mießner

Wenn fünf Sekunden fünfzigsten Geburtstag feiern, kann das schon mal außer Rand und Band geraten. Kann? Sollte! Muss!

Am Mittwochabend lief im Columbia Theater in Berlin-Tempelhof ein Jubiläumstusch vom Band, und der ging so: „Brothers and sisters, I want to hear some revolution out there, I want to hear some revolution. The time has come for each and every one of you to decide whether you are gonna be the problem, or whether you are gonna be the solution. You must choose, brothers, you must choose. It takes five seconds. Five seconds of decision. Five seconds to realize your purpose here on the planet. It takes five seconds to realize that it’s time to move. It’s time to get down with it. Brothers and sisters, it’s time to testify, and I want to know – are you ready to testify? Are you ready?“

Ein Album mit Reputation, eine Band mit einem Ruf

Diese Ansprache, die da aus dem Orbit kam, eröffnet das Album „Kick out the Jams“ der Detroiter Band MC5, live eingespielt im Herbst 1968. Zur Feier seines halben Jahrhunderts hatte Wayne Kramer, Gründungsmitglied, Gitarrist und Sänger der MC5, eine Allstar-Band zusammengestellt, die das Album unter dem Motto MC50 in den letzten Wochen auf Tour und Touren und jetzt eben nach Berlin brachte. Als Kramer, der im April dieses Jahres seines 70. Geburtstag feierte, einem Pingpong-Ball gleich die Bühne im Tanzschritt enterte, konnte man ahnen, dass der Abend nicht zu einem pflichtschuldig absolvierten Festakt geraten müsse; an seinem Ende, kurze 90 Minuten später, hatte man Gewissheit: Rockmusik, und sie ist in diesem Fall ja nicht irgendwelche, ist keine Frage des Alters.

Es hätte schiefgehen können. „Kick Out the Jams“ – das im September mit seinen beiden Nachfolgern „Back in the USA“ und „High Time“ im Boxset „Total Assault“ neu aufgelegt wurde – ist ein Album mit Reputation; MC5 waren eine Band mit einem Ruf, der ihnen noch heute, Jahrzehnte nach ihrem kurzen Bestehen, anhängt. Gefährlich, scharfkantig, lautstark funkelnd, dezidiert politisch zumal. Die Geschichtsschreibung des Rock sortiert MC5 unter Garagenrock, Protopunk oder Hardrock. All das ist wahr. Nur, der Hardrock der MC5 brauchte keine Monstren und kein Mittelalter. Die Ungeheuer waren da draußen; sie waren real: der Vietnamkrieg, die rassistische Gewalt in den USA. Dass das nicht mit der linken Wange hingenommen, sondern links gekontert wurde, muss nicht unbedingt das Verdienst eines Rockalbums sein, doch „Kick Out the Jams“ hat mindestens den Soundtrack dazu geliefert: Etwa in „Motor City Is Burning“, ein Song von der zweiten, vertrackteren Seite des Albums, bekannt geworden durch John Lee Hooker. Die Stadt ist Detroit, das Feuer das der Unruhen. Bei aller Schroffheit hatte der Hardrock der MC5 Soul.

Zen-Meditation und ­Noiserock, kein Gegensatz

Dem geschuldet war wohl die Blues-Brothers-Sonnenbrille, die der MC50-Sänger Marcus Durant die meiste Zeit während des Berliner Konzerts trug. Durant erinnert in Mimik und Gestik und in der Stimme an den legendären, 1991 verstorbenen MC5-Sänger Rob Tyner. Die Jubiläumsband, mit der Wayne Kramer jetzt tourt, versammelt Musiker, die man als die Kinder von MC5 bezeichnen könnte: Marcus Durant kommt von der Gospel-Punkband Zen Guerilla, Bassist Billy Gould von der Crossover-Kapelle Faith No More. Das Schlagzeug der MC50 bedient Brendan Canty von Fugazi, Kramers Gitarrenpartner ist Kim Thayil von Soundgarden. Thayil zuzuschauen ist nicht minder schön, als ihm zuzuhören: In dem rhythmischen Getöse, das die MC50 veranstalten, lächelt er in sich hinein, als sei er in eine Zen-Meditation abgetaucht. Auch das kann Noiserock! Überhaupt das Wohlsein, das aus dem Geräusch kommt: Zum Schluss des kompletten „Kick Out the Jams“-Sets spielten MC50 ein Stück, das die MC5 1968 dem Jazzkosmiker Sun Ra entlehnt hatten: „Starship“, einen Achtminüter aus Klangblöcken und -flächen, ein Manifest wider die Genügsamkeit. Es wurde zu einem der Highlights des Abends, zumal Marcus Durant selbst noch in ein elektrifiziertes Horn stoßen und ihm Sounds einer Science-Fiction-Konsole entlocken sollte.

Dabei konnten die MC5 und können MC50 auch zugänglich: im zweiten Teil des Abends mit Songs aus „Back in the USA“ und „High Time“. Jetzt könne getanzt werden, meinte Wayne Kramer. Dabei hatte der Mehrgenerationentanz – das Konzert war zum Glück kein ausschließliches Veteranentreffen, wenn auch mit maskulinem Überhang – bereits begonnen. Und irgendetwas war anders. Schaute man genauer hin, sah man: Marcus Durants Sonnenbrille, plötzlich war sie weg.