Hoffen auf Straßburg

Elf Lehrer ziehen für ihr Streikrecht vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Von Ralf Pauli

Nun soll es also Europa richten. Im Juni entschied das Bundesverfassungsgericht, dass deutsche BeamtInnen auch künftig nicht streiken dürfen – und wies damit eine Klage von vier verbeamteten LehrerInnen ab, die sanktioniert worden sind, weil sie an Streikaktionen teilgenommen hatten. Die Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich in dem Karlsruher Urteil um ihr urdemokratisches Grundrecht geprellt. Deshalb wenden sich die vier Betroffenen, sowie sieben weitere Lehrkräfte nun an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Das teilte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die die Prozesskosten für die elf KlägerInnen übernimmt, am Dienstag mit.

„Das Streikrecht ist ein Grund- und Menschenrecht“, begründet GEW-Vorsitzende Marlis Tepe den Gang nach Straßburg. „Das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte als Ausdruck ihrer Treuepflicht entspricht dagegen dem obrigkeitsstaatlichen Denken des Kaiserreichs.“ Tepe glaubt, dass das deutsche Beamtenrecht im Widerspruch zur europäischen Menschenrechtskonvention steht.

Tatsächlich gibt es das deutsche Beamtengesetz so in keinem anderen EU-Staat. Das Streikverbot basiert auf den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Bei diesen handelt es sich teils um bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichende Traditionen. Von zentraler Bedeutung sind die „besondere Treuepflicht“ sowie die „amtsangemessene Alimentation“. Dies bestätigten auch die BundesverfassungsrichterInnen: Ein Streikrecht für Beamte würde „fundamentale Grundsätze des Berufsbeamtentums in Mitleidenschaft“ ziehen, sagte der Präsident des Gerichts, Andreas Voßkuhle, bei der Urteilsverkündung ganz im Sinne der Bundesregierung.

Ob sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dieser Sichtweise anschließt, ist ungewiss. Denn im Gegensatz zum deutschen Sonderweg dürfen in anderen Ländern nur ganz bestimmte Beamtengruppen wie Polizei, Justizvollzug oder Streitkräfte vom Streikrecht ausgenommen werden.

Den elf KlägerInnen macht vor allem ein Straßburger Urteil aus dem Jahr 2009 Hoffnung: Darin urteilte der Menschenrechtsgerichtshof, dass ein allgemeines Streikverbot für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes unverhältnismäßig sei. Demnach müssten verbeamtete LehrerInnen das Streikrecht zugesprochen bekommen. Davon wären rund 600.000 der 800.000 LehrerInnen in Deutschland betroffen. Mit einer endgültigen Entscheidung müssen sie sich aber noch gedulden. Die GEW rechnet mit einem Urteil „wohl erst in fünf Jahren“.