Die Akademikerin

Nicht moralisch diskutieren, sondern intellektuell: Yara N. bringt zu Vorträgen jüdische Freundinnen mit

Eigentlich hatte sich Yara N. bereit erklärt, für diesen Beitrag über ihre Situation als deutschpalästinensische Akademikerin zu sprechen, über ihr Forschungsthema und die damit verbundenen Hindernisse. Doch dann überlegt sie es sich anders, will nicht mehr porträtiert werden. Wenn überhaupt, dann anonym und ohne Foto. Sie fürchtet, dass ihr jemand aus einem leichtsinnig formulierten Satz einen Strick drehen und ihrer beruflichen Zukunft damit schaden könnte.

Yara N.s Forschungsthema hat mit der israelischen Besetzung zu tun, genauer soll das nicht in der Zeitung stehen. Sie spricht ein wenig atemlos – als fürchtete sie, unterbrochen zu werden – über Rassismus, Gewalt, Diskriminierung, über „ethnische Säuberung“, die der israelische Staat an den Pa­läs­ti­nen­se­r*innen begehe.

Solche Begriffe kann man in Berlin – anders als in anderen europäischen Großstädten – nicht einfach so im Kontext von Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten verwenden. „International renne ich offene Türen ein“, sagt N. Doch in Deutschland ist das Thema historisch extrem vorbelastet – zu Recht wird darüber mit großer Vorsicht gesprochen. Aber nicht immer wird dabei ausreichend differenziert. Wer die israelische Siedlungspolitik kritisiert, sieht sich schnell mit einem Antisemitismusvorwurf konfrontiert, der keine Beweise braucht, um ganze Karrieren zu zerstören– vor allem wenn es Menschen arabischen Ursprung sind, die sprechen.

Darum bringt Yara N. ihre jüdischisraelischen Freundinnen mit, wenn sie Vorträge hält. Die schlagen sich bei einer Diskussion auf ihre Seite und zeigen, dass man auch Jüdin sein und N.s Perspektive unterstützen kann – dass das, was die deutschpalästinensische Wissenschaftlerin sagt, nicht antisemitisch verstanden werden muss. „In Deutschland ist das so eine Sache: Wenn Juden kritisch über Israel reden, dann wird es gehört, dann ist das wie ein Alibi“, erklärt eine jüdische Aktivistin. Vereine wie die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost oder die Jewish Antifa sind sich dieser Chance bewusst und engagieren sich in Berlin an der Seite palästinensischer Akti­vis­t*innen.

Ende 2017 wurde der Vortrag der palästinensischamerikanischen Wissenschaftlerin Lila Adib Sharif an der Freien Universität abgesagt, nachdem die Bloggerin Judith Sevinc Basad ihr Antisemitismus und anti-israelische Hetze vorgeworfen hatte. Die Wissenschaftlerin hatte in ihrer Forschung scharfe Kritik an der israelischen Siedlungspolitik geübt und davon gesprochen, dass diese zu einem Verschwinden lokaler Bevölkerungsgruppen führe. Dabei hatte sie auch Begriffe wie „Apartheid“ und „Genozid“ verwendet. Die Veranstalter*innen stellten sich hinter Sharif, sahen sich jedoch wegen der medialen Aufmerksamkeit nach dem Blog-Post gezwungen, die Veranstaltung abzusagen. Sie hätten einen sicheren und geordneten Ablauf der Veranstaltung nicht gewährleisten können, heißt es in einem Statement.

„ ‚Apartheid‘ ist ein juristischer Begriff“, ärgert sich Yara N. „Man muss darüber gar nicht moralisch diskutieren, sondern nur prüfen, ob die israelische Politik der Definition entspricht. Alles andere ist unintellektuell.“

Wenn Yara N. ihre jüdischen Freundinnen zu ihren Vorträgen mitnimmt, ist das ein Versuch, sich zu schützen in einer Diskussion, die von einigen als legitime Kritik an einer Besatzungsmacht gesehen wird und von anderen als Antisemitismus. Doch eigentlich ärgert sie sich darüber, überhaupt in diese defensive Position gedrängt zu werden. „Die Verstöße gegen das Völkerrecht sind in Palästina so schwerwiegend, systematisch und anhaltend, dass nicht die Pa­lästinser*innen sich rechtfertigen sollten, sondern dass sich Deutschland den Paläs­ti­nen­se­r*in­nen gegenüber verantworten müsste, weil es die israelische Rechtsprechung und Gesetzeslage verteidigt“, sagt sie. „Am Fall Palästina lässt sich Deutschlands Haltung zum Völkerrecht messen.“