Debatte Wohnen ist Heimat: Der Boden gehört allen

Neubauten sind auch deshalb so teuer, weil Grund in den Städten knapp ist. Eine Bodenwertsteuer könnte dies ändern, weil sie Spekulation verhindert.

Baulücke

Wem gehört die Stadt? Foto: imago/Michael Schick

Das Recht auf Wohnen sollte eigentlich ein Menschenrecht sein. Tatsächlich mutierte es vor allem in den Ballungsräumen in den letzten Jahren zu einem Luxusgut. Selbst für die Mittelschicht wird dieses Grundbedürfnis in den großen Städten allmählich unbezahlbar. Krankenschwestern, Polizisten, Angestellte, welche die Städte am Laufen halten, werden zunehmend an den Rand gedrängt. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat ermittelt, dass in Deutschland 40 Prozent der Großstadthaushalte mit ihren Wohnkosten mittlerweile über der kritischen Grenze von 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens liegen.

Eigentlich gibt es mehr als genug Kapital, das auch in den Wohnungsbau investiert werden könnte. Dass zu wenig gebaut wird, liegt nicht nur an überlasteten Bauunternehmen und zu langen Fristen für die Erteilung von Baugenehmigungen. Der entscheidende Engpass ist vielmehr das nicht verfügbare Bauland. Der dem Wohnungsmarkt vorgelagerte Bodenmarkt ist der Flaschenhals, der neuen, bezahlbaren Wohnraum verhindert. Letztlich handelt es sich hierbei um ein uraltes Thema: den Zugang zum Boden.

Darüber hinaus geht es auch um die Verteilung: 17 Euro pro Quadratmeter ist in München als Miete zu bezahlen. In einer Kleinstadt im bayerischen Wald sind es nur 5 Euro. Die Differenz hat nichts mit Unterschieden in der Bausubstanz zu tun. Mit den hohen Mieten in München werden die Standortvorteile gezahlt. Diese schlagen sich auch in entsprechend hohen Grundstückspreisen nieder.

Mit dem Absinken des Zinsniveaus seit 2009 verlor das Kapital immer mehr Anteile am Sozialprodukt, ohne dass die Arbeitnehmer ihren Anteil am Kuchen entsprechend vergrößern konnten. Der lachende Dritte war der Produktionsfaktor Boden. Mittlerweile dürften die Erträge aus dem Boden diejenigen aus Kapital deutlich übersteigen. Dies haben die Haushalte in den Ballungsregionen über Mieterhöhungen deutlich zu spüren bekommen. Der Großgrundbesitz ist zurück; er liegt – nach Werten – in den großen Städten vor allem in der Hand von großen Immobiliengesellschaften.

Das Privateigentum an Grund und Boden wirkt dabei als eine stille, aber gigantische Umverteilungsmaschine. Laut Deutscher Bundesbank werden mehr als 60 Prozent des Nettovermögens in Deutschland von nur 10 Prozent der Haushalte gehalten. Den größten Anteil am Nettovermögen stellen Immobilien dar; diejenigen der reichsten Haushalte befinden sich dabei in der Regel in bevorzugten Lagen. Der Boden macht daher einen erheblichen Anteil am Vermögen der reichsten Haushalte aus.

Aber: „No man made the land“ – so John Stuart Mill, einer der Väter des Liberalismus. Und kein Bodeneigentümer hat den Wert seines Grundstücks selbst geschaffen. Erst die öffentlichen Vorleistungen (Planung, Infrastruktur, kommunale Organisation etc.) verleihen dem Boden seinen Wert. Finanziert werden die öffentlichen Leistungen durch Steuern; die größten Anteile am Steueraufkommen entfallen auf Lohn- und Verbrauchsteuern. Sie werden also von den weitgehend identischen Gruppen der Arbeitnehmer und Verbraucher getragen.

Baugrund wird wertvoll durch staatliche Infrastruktur – aber von den Bodenpreisen profitieren nur die Eigentümer

Das Bodeneigentum selbst wird dagegen hierzulande in homöopathischen Dosen besteuert. Vor allem Mieter in Großstädten zahlen doppelt: Einmal die Steuern, die für die Infrastruktur aufgewendet werden und dem Boden Wert verleihen, und dann die erhöhten Mieten, in denen sich die gestiegenen Bodenerträge spiegeln.

Barbarisches Relikt

Öffentlich geschaffene Werte werden also in großem Maßstab privatisiert – und dies wird noch durch Artikel 14 des Grundgesetzes geschützt. Diese private Aneignung von öffentlichen Werten stellt ein kulturelles Problem dar. Der amerikanische Bodenreformer Henry George betrachtete Privateigentum an Boden als ein barbarisches Relikt, und rückte es sogar in die Nähe der Sklaverei. Boden sollte ein Gemeingut sein.

Eine Wohnung sicher und bezahlbar. Ein Ort, wo man sich geborgen und wohl fühlt, zu Hause eben. So elementar verorten wir den überstrapazierten, ideologisierten Begriff Heimat. In der taz-Serie "Wohnen ist Heimat" fragen wir: Welche Modelle, Visionen, Projekte gibt es? Was können die Städte, was kann die Politik tun? Wie lassen sich gute und zugleich preiswerte Wohnungen realisieren? Wann sagen wir: Wo ich wohne, ist Heimat?

Gegenwärtig steht eine Reform der Grundsteuer an. Was da zunächst wie ein Schlafmittel klingt, bietet in Wirklichkeit die Chance für eine grundlegende Wende. Das Mittel: eine Bodenwertsteuer. Anders als heute würden nicht mehr die Bauten besteuert, sondern der Wert des Bodens. Dies würde zwar das Bodeneigentum nicht abschaffen, könnte aber der Gemeinschaft wenigstens einen kleinen Teil dessen zurückzugeben, was sie geschaffen hat.

Das Bodeneigentum würde so wenigstens zum Teil ökonomisch „entkernt“ (Henry George) beziehungsweise „entkapitalisiert“: Weniger privatisierbare Bodenerträge bedeuten geringere Bodenwerte. Der Bodenspekulation könnte so der Zahn gezogen werden.

Die konkrete Idee dabei: Wer ein Grundstück weniger intensiv bebaut als planerisch vorgesehen, zahlt dieselbe Steuer wie bei optimaler Nutzung. Es würde sich nicht mehr lohnen, Grundstücke unbebaut zu lassen und auf ihren steigenden Wert zu spekulieren. Das Angebot auf dem frei finanzierten Wohnungsmarkt würde so erhöht. Geringere Anschaffungskosten für Boden bedeuten auch geringere Kostenmieten für sozial gebundene Wohnungen; ebenso könnten Genossenschaften billiger an Grundstücke kommen.

Allerdings ist die Bodenwertsteuer kein Allheilmittel. Der Staat muss grundsätzlich die Fähigkeit zurückerlangen, den Bodenmarkt zu steuern. Dies geht nicht ohne mehr öffentliches Eigentum am Boden. Ulm macht es schon seit 125 Jahren vor: Hier befinden sich 37 Prozent des Stadtgebiets in kommunaler Hand.

Traditionell verdingen sich vor allem die konservativen Parteien mit dem „C“ als Gralshüter der Privatisierung von Bodenwerten und Bodenerträgen. Ihnen sei ein Blick in die Bibel empfohlen: „Darum sollt ihr das Land nicht verkaufen für immer; denn das Land ist mein, und ihr seid Fremdlinge und Gäste vor mir“ (3 Mose 25).

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habilitierter Volkswirt, lehrt in Trier. Löhr ist Mitbegründer der Initiative „Grundsteuer: Zeitgemäß!“, die sich für die Reform der Grundsteuer zu einer Bodenwertsteuer einsetzt.

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