Proteste in Bosnien und Herzegowina: Der Druck der Straße wirkt

Ein verhafteter Anführer der Protestbewegung kommt nach einer Demonstration wieder frei. Er kämpft um Gerechtigkeit für seinen toten Sohn.

Davor Dragičević vor einem Blumenmeer zum Gedenken an seinen Sohn in Banja Luka

Kampf um Gerechtigkeit für seinen toten Sohn: Davor Dragičević Foto: ap

SPLIT taz | Ungewöhnlich schnell haben die Behörden des serbischen Teilstaats in Bosnien und Herzegowina auf Massenproteste vom Dienstag reagiert, nachdem der oppositionelle und charismatische Kellner Davor Dragičević in Banja Luka festgenommen worden war. Angesichts der sofort aufflammenden landesweiten Protestwelle wurde offenbar die Reißleine gezogen. Schon am Mittwoch wurde der 49-jährige Dragičević wieder freigelassen.

Für eine Festnahme habe es ohnehin keine Gründe gegeben, erklärte sein Anwalt am Mittwoch. Die Polizei hatte Dragičević wegen des Verdachts auf Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in Gewahrsam genommen.

Das ist ein Vorwurf, dem er sich schon lange ausgesetzt sieht. Denn Dragičević ist zum Schreckgespenst für die Polizeiführung und die politische Führung unter dem „starken Mann“ der serbischen Nationalisten, Milorad Dodik, geworden. Seit am 24. März dieses Jahres der Leichnam seines 21-jährigen Sohnes David in dem Flüsschen Crkvena aufgefunden worden war, fordert er die Aufklärung des Verbrechens.

Zusammen mit seiner eigentlich in Wien lebenden Ehefrau initiierte er vor neun Monaten eine beispiellose Protestbewegung auf dem Hauptplatz der Stadt Banja Luka. Seitdem versammeln sich täglich Hunderte von Menschen, die, wie die Eltern, „Gerechtigkeit für David“ fordern. An manchen Tagen kamen bis zu 30.000 Menschen – so wie kurz vor den Wahlen am 6. Oktober.

Aufklärung gefordert

Die Demonstranten machen wie Vater Dragičević die Polizeiführung unter Innenminister Dragan Lukać für die Tat verantwortlich. Als David in der Nacht vom 17. März verschwand und eine Woche später seine Leiche gefunden wurde, verlangte die Familie des Toten Aufklärung.

David habe Drogen genommen und sei vor seinem Tod in eine Wohnung eingebrochen. Dann sei er die Böschung zum Fluss hinuntergefallen und ertrunken, erklärte die Polizei und berief sich auf die Untersuchungen eines lokalen Forensikers.

Die Leiche von David war voller schwerer Wunden, die auf Folterungen schließen ließen

Obwohl sein Körper voller Wunden war, die auf Folterungen schließen ließen und die Fotos vom Zustand der Leiche auf Facebook veröffentlicht worden sind, hielt man den Vater Davor Dragičević mit diesen Ausflüchten hin. Die Familie sowie einige Freunde erklärten, David habe nie Drogen genommen.

Der Student der Elektrotechnik und Informatik sei ein sensibler Junge gewesen, habe Gedichte geschrieben und sei gegen Drogenmissbrauch aufgetreten. Alle offiziellen Verlautbarungen seien ein Konstrukt und eine Lüge, erklärte sein Vater. Die Auftraggeber, Mittäter und Vollstrecker des brutalen Mordes seien in den Reihen der Polizei und Bezirksstaatsanwaltschaft zu finden, die mit den Kriminellen der Drogenmafia verbunden seien, erklärte er unmittelbar nach der Tat.

Unter Druck gesetzt

Dragičević gelang es, die Leiche von unabhängigen Forensikern untersuchen zu lassen. Die Darstellung der Polizei erwies sich als falsch.

Dass ausgerechnet die Chefs der Abteilung für Organisierte Kriminalität bei der Polizei der Republika Srpska, Dubravko Kremenović und Darko Ilić, mit dem Fall David betraut worden sind, ist eine weiterer Grund für die Proteste. Kremenović soll mit einem der Schläger verwandt sein, die David als Erste gefoltert haben. Der Vater behauptet, David sei im Polizeipräsidium ermordet worden und schiebt Innenminister Dragan Lukač die Verantwortung zu.

Das Regime reagierte. Demonstranten berichteten, an ihren Arbeitsstellen unter Druck gesetzt worden zu sein. Bei den Wahlen musste Dodik zwar empfindliche Verluste hinnehmen, konnte aber nach Meinung der Demonstranten durch „Wahlbetrug“ die Mehrheit behaupten.

Die Proteste wirken um so mehr, als Dragičević sich gegen den von den Herrschenden propagierten Nationalismus stellt und auch Resonanz in der bosniakisch-kroatischen Föderation gefunden hat. In Sarajevo, Tuzla und Zenica demonstrierten am Dienstag sofort Tausende gegen seine Festnahme.

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