Diskriminierung an Berliner Schulen: „Vielleicht bin ich Optimistin“

Saraya Gomis, seit zwei Jahren Antidiskriminierungsbeauftragte der Schulsenatorin, fordert ein Umdenken in der Lehrerausbildung.

Ihre Stelle gibt es so nur in Berlin: Saraya Gomis, Antidiskriminierungsbeauftragte für die Schulen Foto: Britta Pedersen/dpa

taz: Als wir uns zu diesem Interview über Diskriminierung an Schulen verabredet haben, sagten Sie, die Öffentlichkeit, die Ihnen zuteil wird, sei nicht unbedingt von Vorteil. Was meinten Sie damit?

Saraya Gomis: Ich denke, dass es gut ist, wenn der Sache an sich Aufmerksamkeit geschenkt wird, aber nicht unbedingt mir.

Warum?

Weil es das Thema auf eine Betroffenheitsperspektive verlagert, auf mich als Privatperson: Da geht es in Interviews und Porträts oft darum, wo ich herkomme, ob ich Kinder habe, wie alt ich bin. Diese Neugierde ist natürlich legitim, aber das Bild, das dann vielleicht entsteht, sagt ja gar nichts darüber aus, worüber wir uns eigentlich ein Bild machen wollen. Es macht eher Boxen auf und verhindert, über diese Zuschreibungen hinauszublicken.

Bei Ihnen lauten die Boxen „dunkle Hautfarbe“ und „Frau“?

Ich bin unter anderem eine Schwarze, afro-diasporische Frau. Da denken die meisten sofort: Die hat bestimmt Diskriminierungserfahrungen gemacht: zum Beispiel Sexismus, Rassismus, die beschäftigt sich allein aus diesem Schmerz heraus mit Diskriminierungen. Die Expertise, die ich habe, tritt dann sofort hinter einen Betroffenheitsaspekt zurück. Natürlich erwächst aus der Betroffenheit wichtiges und wertvolles Erfahrungswissen. Aber die Expertise der Antidiskriminierungsbeauftragten ist darüber hinaus noch eine andere. Ich würde also lieber nicht über mich, sondern über Diskriminierungen in der Gesellschaft sprechen, besonders an den Schulen. Und was wir dagegen tun können.

Gomis wurde in Niedersachsen zur Lehrerin ausgebildet. Sie arbeitete danach an der Ernst-Reuter-Oberschule im Wedding. Seit Sommer 2016 ist Gomis die Antidiskriminierungsbeauftragte von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Ihre Stelle ist ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt.

Sehr gerne. Sie kümmern sich seit zwei Jahren in der Bildungsverwaltung um Diskriminierungsvorfälle an Schulen. Wer kommt zu Ihnen ?

Es kommen vor allem SchülerInnen mit ihren Eltern, das geht ab dem Grundschulalter los. Manche kommen auch alleine. Oder die Eltern kommen alleine, weil sie sich Sorgen um ihre Kinder machen. Auch LehrerInnen kommen, SozialarbeiterInnen, seltener Schulleitungen. Ich mache aber auch viel aufsuchende Arbeit in Jugendclubs. Manch einer traut sich nicht unbedingt in so ein Gebäude hier hinein [der Amtssitz der Senatsbildungsverwaltung am Alexanderplatz, Anm. d. Red].

Im November sprach die Bildungsverwaltung in einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage des Grünen-Abgeordneten Sebastian Walter von „erheblichen Beschwerdehemmnissen“ an den Schulen. Was heißt das?

Das ist ganz unterschiedlich. Manchen fällt es schwer, überhaupt zu sagen: „Ich brauche Hilfe.“ Niemand ist gerne in der Opferrolle. Hinzu kommt: In der Schule herrschen starke Abhängigkeitsverhältnisse. Für die Lehrkräfte ist es ihre Arbeitsstelle, als SchülerIn wiederum möchte ich einen Abschluss haben und bin auf gute Noten angewiesen. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) steht zwar, dass wer sich beschwert, keine Nachteile dadurch erfahren darf. Aber das ist ja nicht unbedingt so.

Saraya Gomis

„Eine diskriminierende Notengebung zu beweisen ist besonders schwierig. Hinzu kommt, dass es eine Vorstellung vom perfekten Opfer gibt.“

Nein?

Zum einen sind SchülerInnen nicht durch das AGG geschützt, weil sie in den Schulen keine ArbeitnehmerInnen sind – außer an Privatschulen, weil dort ein Vertrag zwischen Träger und Eltern geschlossen wird und somit das AGG Geltung hat. Und dann ist es in der Realität ja nicht so, dass einem die Herzen zufliegen, wenn man einen Diskriminierungsvorwurf erhebt oder auch nur Diskriminierungen anspricht. Und es kann auch sein, dass ich meine Lehrerin eigentlich ganz nett finde und ihr deswegen gar nicht zu nahetreten möchte.

Was muss passieren, bis SchülerInnen doch zu Ihnen kommen?

Die meisten haben bereits eine lange Diskriminierungsgeschichte. Häufig haben zum Beispiel LehrerInnen immer wieder die gleichen abwertenden Bemerkungen gemacht, über die Herkunft, die Behinderung, die Religion, den Körper. Wenn dann noch die Notengebung hinzukommt, die diese Abwertung unterstreicht, wenn „Murat“ eine schlechtere Note als „Max“ für sein Referat bekommt …

Aber wie beweist man, dass die schlechte Note Diskriminierung ist?

Das ist ja gerade das Schwierige: Wie beweise ich das? Grundsätzlich gilt: Die Betroffenen müssen beweisen, dass sie diskriminiert worden sind. Und das ist nicht immer einfach. Manchmal steht Wort gegen Wort, oft gibt es keine Zeugen. Eine diskriminierende Notengebung zu beweisen ist besonders schwierig. Hinzu kommt, dass es eine Vorstellung vom perfekten Opfer gibt.

Was meinen Sie damit?

Es gab dieses Jahr eine Studie, bei der Lehramtsstudierende identische Aufsätze benoten sollten. Wenn „Max“ den Aufsatz geschrieben hatte, wurde eher besser benotet, als wenn „Murat“ drunter stand. Aber auch „Murat“, der vielleicht auch noch frech ist im Unterricht, hat ein Recht auf diskriminierungsfreie Bildung.

Aus den Zahlen, die kürzlich zu der Grünen-Anfrage vorgelegt wurden, geht auch hervor: Viele wollen nicht, dass ihre Beschwerde der Schulleitung bekannt wird. Aber das heißt ja, dass Sie das Problem überhaupt nicht an der Wurzel packen können!

Es geht erst mal darum, dass überhaupt die Möglichkeit entsteht, über den Vorfall zu sprechen. Und dann muss man sehen, welche Maßnahmen gibt es, um die Betroffenen zu em­powern? Gibt es Gruppen für Menschen, die das Gleiche erfahren haben? Brauche ich diskriminierungskritische PsychologInnen, oder hilft nur noch ein Schulwechsel? Tatsächlich frage ich die Beschwerdeführenden aber auch, ob sie möchten, dass ich im Nachgang die Schule anfrage, um den Fall aufzuarbeiten.

Die Zahlen Bei der Antidiskriminierungsbeauftragten für Schulen sind im Zeitraum September 2016 bis Juli 2017 insgesamt 183 Meldungen über Vorfälle eingegangen, wovon sich 13 nach einer Überprüfung nicht als Diskriminierung einordnen ließen. Das hatte im November die Antwort der Bildungsverwaltung auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Sebastian Walter ergeben.

Die meisten Vorfälle fallen in die Kategorie Rassismus (106). Danach folgen Diskriminierungen aufgrund von Körper, Behinderung oder Krankheit (20). Auf Platz drei: Diskriminierungen wegen des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung (10). SchülerInnen werden als alleinige TäterInnen „nur“ in 20 Fällen genannt. Die meisten Beschwerden beziehen sich auf LehrerInnen und weiteres Schulpersonal (84) oder Schulmaterial/Schulregeln (24). (taz)

Und, zeigen die Schulen daran Interesse?

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Schulleitungen, die ablehnend reagieren. Es gibt aber auch durchaus Schulen, im letzten Jahr sind das auch mehr geworden, die aktiv auf mich zugehen.

Und dann können Sie endlich loslegen und arbeiten.

Dann erarbeite ich mit den Kollegien, in Kooperation mit externen ExpertInnen, einen mehrjährigen Entwicklungsplan. Da geht es dann zunächst mal darum, alle auf den gleichen Wissensstand zu bringen: Was heißt überhaupt Diskriminierung, juristisch und menschenrechtlich gesehen? Die völkerrechtliche Definition von Diskriminierung sagt zum Beispiel: Es ist egal, wie etwas gemeint ist, es geht um den Effekt – also darum, ob ein Verhalten, eine Regelung, ein Verfahren benachteiligt oder abwertet. Das ist wichtig, weil es dann viel leichter ist, über Diskriminierung zu sprechen.

Wieso?

Weil dann nicht mehr verhandelt wird, ob ich ein schlechter Mensch bin oder nicht. Viele diskriminierende Äußerungen sind ja nicht bewusst intendiert, um zu diskriminieren, oder sie sind sogar „gut gemeint“. Aber darum geht es eben nicht. Wenn man das geklärt hat, kann man sich auf den eigentlichen Weg machen.

Ihre Zahlen zeigen auch: Am meisten diskriminieren nicht SchülerInnen untereinander, das größere Problem sind LehrerInnen, ErzieherInnen und andere Erwachsene. Die Öffentlichkeit konzentriert sich aber gerne auf das Klischee des muslimischen, antisemitischen Schülers. Warum ist das so?

Das hat zum einen damit zu tun, welche Fälle überhaupt öffentlich werden. Zum anderen fällt es uns immer leichter, über Diskriminierung zu reden, wenn sie durch andere passiert. Übrigens: Man kann eine sehr gute Lehrerin sein und trotzdem diskriminieren.

Bestimmt. Aber dennoch: Müssten wir die LehrerInnen mehr in den Fokus nehmen?

Wir bräuchten definitiv eine Professionalisierung in der Lehrerausbildung, dass sie ab Tag eins diskriminierungskritisch ausgebildet werden: Wie interveniere ich, wie baue ich das Thema in meinen Unterricht ein, wie gehe ich mit Beschwerden um? Wie beachte ich den Opferschutz und arbeite gleichzeitig mit den TäterInnen, und zwar ohne sie grundsätzlich zu verurteilen? Und nicht zuletzt: Wie können LehrerInnen selbstreflexiv ihre eigenen Vorurteile erkennen und abbauen?

Und das passiert alles nicht an der Uni?

Das ist unterschiedlich. Manche Unis machen Module über ein oder zwei Semester, andere mal ein Seminar, wo man etwas über interkulturelle Bildung lernt. Aber Diskriminierungskritik ist bislang keine durchgängige Professionalisierungsaufgabe in der Ausbildung und später während der Arbeit.

Eine selbstkritische Haltung im anstrengenden Alltag zu behalten ist aber nicht einfach.

Sie haben recht, das ist ein lebenslanges Lernen. Aber auch bei einem Chirurg möchte ich, dass er auf dem neuesten Stand ist, bevor er mich aufschnippelt. Und ich sehe täglich KollegInnen, die selbstreflexiv arbeiten. Aber dafür braucht es eine entsprechende Ausbildung und Fortbildungen.

Und Zeit dafür.

Das auch. Und es muss gestützt werden von dem ganzen Drumherum. Darum beginnt die Bildungsverwaltung 2019 mit einer diskriminierungskritischen Qualifizierung der Führungskräfte, also zum Beispiel der Schulaufsichten und Referatsleitungen. Und auch die Gesellschaft hat hier eine Aufgabe. Auch draußen erfahren SchülerInnen zum Beispiel Racial Profiling. Oder ein Café, in dem sich mit FreundInnen getroffen wird, ist mal wieder nicht barrierefrei. LehrerInnen bekommen immer gesagt, dies müsst ihr noch tun und jenes. Das ist richtig, gleichzeitig müssen wir aber sehen, dass das alles in einem gesellschaftlichen Kontext passiert.

Gerade weil Schule kein abgeschlossener Raum ist: Sind Ihre Möglichkeiten, an SchülerInnen heranzukommen, nicht sehr begrenzt, wenn diese etwa zu Hause den Antisemitismus von den Eltern lernen?

Vielleicht bin ich eine unverbesserliche Optimistin, aber ich glaube, dass wir in den meisten Fällen sehr gut an SchülerInnen herankommen – wenn wir dafür ausgebildet sind und wenn SchülerInnen die Möglichkeit haben, zunächst über ihre eigenen Diskriminierungserfahrungen zu sprechen. Nach dem Motto: Was ich für mich in Anspruch nehme, muss ich auch tun. Meine Erfahrung ist, dass junge Menschen offener sind, die eigene Haltung zu bearbeiten, als Erwachsene.

Bislang bekommen diskriminierende LehrerInnen recht selten Konsequenzen zu spüren, etwa Disziplinarverfahren. Warum?

Meine Stelle ist ja relativ neu. Und so ging es zunächst eher darum zu gucken: Wer kommt mit welchen Problemen zu uns – und wie wird damit umgegangen? So eine Stelle gab es bislang nirgendwo, wir konnten uns nicht die Stadt XY zum Vorbild nehmen. Jetzt, wo sich so viele Menschen melden, ist klar, dieses Projekt wird weitergeführt. Die Stelle hier wird auch aufgestockt. Außerdem will die Bildungsverwaltung eine Antidiskriminierungsstrategie erarbeiten. Da wird die Frage der Sanktionierung sicherlich vorkommen, aber auch, wo wir im Detail ansetzen müssen, damit wir unserem Ziel näherkommen: einer diskriminierungskritischen, einer inklusiven Schule.

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