Keine Waffenruhe

„Pissing in a River, Watching It Rise“, sang Patti Smith einst. An diesen Vers angelehnt haben die Künstlerinnen Andrea Pichl und Stefanie Kloss eine Ausstellung feministischer Kunst im Kunstraum Kreuzberg kuratiert

Yael Bartana, „Stalag – The Photographer (I)“, 2015, Farbfotografie Foto: Abb.: Capitain Petzel, Berlin

Von Claudia Funke

Sie kommt lässig, konfrontativ die Treppe hinunter, gerade auf uns zu, als würde sie gleich unser Wohnzimmer betreten: Das Kultmodel Kate Moss, die eine Hand im schwarzen Handschuh am Geländer, mit kurzem Oberteil, schulterfrei und in schwarzen Strümpfen. Sie strahlt Glamour aus, und der helle Hintergrund wirkt wie in Scheinwerferlicht getaucht. Das großformatige Bild von Tatjana Doll ist Teil der Ausstellung „Pissing in a River. Again!“, die aktuell im Kunstraum Kreuzberg zu sehen ist. Doll eignet sich hier berühmte Werke ihrer männlichen Kollegen an und re-interpretiert das Thema subtil und offensiv.

Die von den Künstlerinnen Andrea Pichl und Stefanie Kloss konzipierte Ausstellung, die hier ebenfalls mit Werken vertreten sind, vereint Gemälde, Zeichnungen, Videoarbeiten, Skulpturen, Objekte, Rauminstallatio­nen sowie Performances von 31 internationalen, zumeist in Berlin lebenden Künstlerinnen aus den Jahren 1970 bis heute. Sie nimmt im Titel Bezug auf den Song „Pissing in a River, Watching It Rise“ von Patti Smith aus dem Jahr 1976. Der Song pendelt in Text und Ausdruck zwischen Verlust, Sehnsucht, Schmerz und Verletzlichkeit und mündet, sich musikalisch steigernd, in Auflehnung ­gegen Abhängigkeit, in Widerstand, Selbstermächtigung und Selbstbestimmung. Am Ende besingt Smith die Möglichkeit, neue Wege zu beschreiten, statt besiegt zu Boden zu gehen: „I’m a slave, I’m free … should I pursue a path so twisted, should I crawl defeated and gifted?“ Dabei bildet das Stück von Smith nur einen lockeren Ausgangspunkt. Pichl betont: „Es geht nicht um die Person Patti Smith, sondern um das Rebellische. Der Titel des Songs ist aggressiv, das Bild einer Frau, die in den Fluss pinkelt, und die Vorstellung, den Pegel dadurch zu steigern, fanden wir einfach gut.“ Die Werke in der Ausstellung vertreten ganz eigene starke, durchaus auch ironische Positionen. So wie eine Arbeit von Inge Mahn, die aus Gips und Eisenstangen weiße Berge formt, deren Gipfel erstürmt und auf denen weiße Fahnen gehisst wurden. Waffenruhe? – Wohl kaum. Die Kuratorinnen wollen nicht weiter kommentieren, warum ausschließlich Werke von Künstlerinnen zu sehen sind: „Männer werden sowieso gezeigt“ sagt Pichl; sie fügt an, dass Männer nach wie vor den Kunstmarkt beherrschen. Kloss und Pichl entwickelten ein spezielles Raumkonzept für die Ausstellung, in dem gespannte Taue eine Dachstruktur andeuten, die die Räume und vielfältigen Werke lose miteinander verbinden. Aber vor allem das Cool Down Pink als Wandfarbe, eigentlich wegen seiner angeblich beruhigenden und Aggressionen hemmenden Wirkung für Gefängnisse oder die Psychiatrie entwickelt, kommentiert ironisch, dass widerständige, rebellische Frauen in der Vergangenheit oftmals als Hysterikerinnen abgetan wurden.

Still Love Feminism

Auf den bemalten, mit Scharnieren versehenen, halb geöffneten Holzkisten von Kerstin Drechsel, die wie geheimnisvolle Schatztruhen wirken, kämpfen Frauen im Boxring, agieren Schlagzeugerinnen und Sängerinnen, findet sich unter einem Reigen von Pistolen das Wort „Kontroverse“, dann der Satz: „Still Love Feminism“, bilden Frauen, auf deren Fäusten „Riot Girl“ steht, einen kämpferischen Kreis: Die Boxen stehen auf kleinen Eisengestellen, sie erscheinen mobil, als könne man sie, wie Geräte oder Klappstühle, transportieren und als Erste-Hilfe-Kästen überall zum Einsatz bringen. In einem weiteren Ausstellungsraum finden sich unterschiedliche Strategien fotografischer Selbstinszenierung: In ihrer berühmten Reihe „Transformer“ von 1973 schaut Katharina Sieverding mit dunklen, kajalumrandeten Augen, unbewegter Miene cool in die Kamera, ihr Gesicht doppelt belichtet und überblendet mit dem eines Mannes. So wird fotografisch Gender-Transformation, ein Spiel zwischen den Geschlechtern, sichtbar. Yael Bartanas Fotografien zeigen die Künstlerin in den Rollen einer israelischen Soldatin, eines SS-Offiziers und als Leni Riefenstahl mit Fotokamera. Mit rot bemalten Lippen verfolgt uns der herablassend verführerische Blick der Inszenierung von Macht in Uniform albtraumartig. Die Ausstellung zeigt ein breites Spektrum künstlerischer Strategien, die kämpferisch und lustvoll in Szene gesetzt werden. So auch in Valérie Favres Bild „Idiotinnen“, in dem eine schwarzgestiefelte, weißberockte Ballerina, auf einem Podest stehend, schwungvoll gestikulierend mit einem unheimlichen schemenhaft angedeuteten Wesen tanzt: Eins scheint klar – sie wird sich von diesem dunklen Geist nicht unterkriegen lassen.

Bis 13. Januar, Kunstraum Kreuzberg, Bethanien. Performance „Abtreibung“ am 3. Januar um 19 Uhr, Käthe Kruse mit Edda und Klara Kruse | Lesung mit Ann Cotten am 10. Januar, Finissage am 13. Januar mit Konzert