„Viel gefährlicher
als Trump“

Gegenkandidat Guilherme Boulos über Brasiliens Präsidenten Jair Bolsonaro

Foto: Wolfgang Borrs

Guilherme Boulos, 36, ist Koordinator der Movimento de trabalhadores Sem teto (MTST), die zur Landlosenbewegung gehört. Als Präsidentschaftskandidat für die Linkspartei P-SOL holte er nur 0,58 Prozent.

Interview Sunny Riedel

taz: Herr Boulos, Sie sind Vorsitzender der Obdachlosenbewegung MTST. Der neue Präsident, Jair Bolsonaro, nennt sie eine Terrororganisation, die Landfriedensbruch, Vandalismus und andere Verbrechen begeht. Können Sie das erklären?

Guilherme Boulos: Der MTST wurde gegründet, um die Landreform, die vor über 30 Jahren in der Verfassung beschlossen, aber nie ausgeführt wurde, zu erzwingen. Brasilien ist ein riesiges Land mit enormen brachliegenden Flächen. Es gibt hier 7,7 Millionen Familien ohne Obdach und 7,9 Millionen verlassene Immobilien. Aber diese Familien können kein würdiges Leben führen, viele müssen sich am Ende des Monats zwischen Miete und Mittagessen entscheiden. Deshalb besetzt der MTST verlassenes Land, um die Regierung zu zwingen, darauf Wohnungen zu errichten. In der Verfassung steht zudem, dass Eigentum eine soziale Funktion erfüllen muss. Dieses Gesetz wird aber nicht ernst genommen. Und Bolsonaro, der den MTST wie auch andere soziale Bewegungen immer wieder bedroht und sie ausschalten will, möchte gegen uns das neue Terrorgesetz anwenden.

Ist Bolsonaro der Trump der Tropen?

Er versucht, Trumps Stil zu imitieren, mit den sozialen Medien zu regieren, er operiert mit Fake-News-Vorwürfen gegen die traditionellen Medien, selbst gegen die konservativen. Er hat bizarre Persönlichkeiten in seinem Team, wie den Außenminister Ernesto Araújo, der behauptet, der Klimawandel sei eine Erfindung der Marxisten. Darüber hinaus ordnet er sich komplett der US-Außenpolitik unter. Ansonsten ist er viel gefährlicher als Trump. Er ist ein autoritärer Mensch, er hat einen bekannten Folterer aus der Militärdiktatur als seinen persönlichen Helden bezeichnet.

Wie geht die Linke jetzt nach vorne?

Die wichtigsten drei Herausforderungen sind: In Brasilien ein breites Bündnis zu formen, das die Demokratie und die sozialen Rechte verteidigt. Wir sind bereit, an einem solchen Bündnis mitzuwirken, und wir glauben, dass es Anfang nächsten Jahres dazu kommen wird. Zweitens müssen wir den Kurs der brasilianischen Linken neu definieren, denn auch die Linke hat viele Fehler gemacht. Und drittens müssen wir uns international vernetzen. Die extreme Rechte schreitet auf der ganzen Welt voran. Mit ähnlichen Methoden, mit ähnlichen Diskursen und untereinander abgestimmt. Wir müssen unseren Widerstand auch abstimmen und gemeinsame Strategien entwickeln.

Wer steht hinter Bolsonaro?

Fünf seiner Minister sind Militärangehörige. Ihre Agenda ist mehr Geld und Ausrüstung für die Armee. Politisch stehen sie für ein straffes Ordnungsprinzip. Dann gibt es die Interessen der Banken: Wirtschaftsminister Paulo Guedes ist ein Banker von der ultraliberalen Chicagoschule, im Justizministerium sitzen Leute wie der Richter Sergio Moro, der Lula hinter Gitter gebracht hat. Dann die Evangelikalen, die mit der Pastorin Damares Alves die Ministerin für Menschenrechte stellen. Sie sagte bei ihrem ersten Auftritt: „Es ist Zeit, dass die Kirche in Brasilien regiert.“ All diese Gruppen werden versuchen, ihre Interessen in der Regierung Bolsonaro durchzusetzen – und haben damit auch schon begonnen.