american pie
: Präziser Schattenmann

In den Top-Listen der Quarterbacks fehlt Drew Brees, 39, meist. Dabei spielt der Footballprofi der New Orleans Saints wieder grandios

Er ist alt. Steinalt für einen Footballprofi. Die meisten seiner Mitspieler waren noch nicht einmal in der Grundschule, als er in der NFL anfing. Trotzdem spielt er so gut wie lange nicht – und besser als alle anderen Quarterbacks. Nein, ausnahmsweise ist nicht die Rede von Tom Brady.

Der ist zwar auch noch aktiv – und zwar im, für einen Footballprofi biblischen Alter von 41 Jahren. Aber der beste von allen älteren Herren in der aktuellen NFL-Saison ist zweifellos Drew Brees. Während die Experten gerade spekulieren, ob Brady nun doch langsam dem Alter Tribut zollen muss und seine New England Patriots zuletzt große Schwächen zeigten, erlebt der 39-jährige Brees mit den New Orleans Saints, bei denen er seit Menschengedenken die Bälle verteilt, seinen dritten oder vierten Frühling.

Der 12:9-Erfolg bei den Carolina Panthers im NFL-Montagsspiel war schon der zwölfte Sieg in diesem Jahr bei nur zwei Niederlagen. Die von Brees angeführte Offensive stotterte in diesem Spiel zwar, aber aus den letzten beiden Partien der regulären Saison, beide Heimspiele im Superdome von New Orleans, brauchen die Saints jetzt nur noch einen Erfolg, um sich das Heimrecht für die Play-offs zu sichern. Zum ersten Mal seit dem einzigen Super-Bowl-Sieg im Februar 2010 scheint New Orleans wieder realistische Chancen auf den Titel zu haben.

Das ist vor allem Brees zu verdanken. Der spielt, jedenfalls statistisch gesehen, in diesem Jahr so gut wie kaum ein Quarterback zuvor. Im Laufe der Saison hat er sich auch in den Rekordbücher der NFL verewigt: Zuerst überholte er die Legende Brett Favre bei den vollständigen Pässen, kurz darauf hatte er mehr Yards gesammelt als Peyton Manning, eine andere Legende.

Vor allem aber ist Brees so akkurat wie niemand sonst. Mehr als 75 Prozent seiner Würfe kommen an. Andere Quarterbacks sind schon froh, wenn sie 60 Prozent an den Mann bringen. Diese Genauigkeit war schon immer Brees’ große Stärke. „Drew wirft einem den Ball dermaßen exakt in die Hände, dass man gar keine andere Wahl hat als ihn zu fangen“, beschreibt es Saints-Running Back Alvin Kamara. Wie genau Brees einen Football platzieren kann, zeigt ein YouTube-Filmchen, in dem er vom zweiten Rang des Superdomes aus den Ball in einem fahrenden Basketballkorb versenkt.

Das findet nicht nur JJ Watt von den Houston Texans, einer der besten Verteidiger der Liga, „unglaublich“. Auch für Passempfänger Dez Bryant ist Brees „einfach legendär“.

Vorkämpfer der Kleinen

Diese Karriere war Brees nicht ins Stammbuch geschrieben. Weder vor dem College noch beim Übergang zu den Profis hielten die Scouts viel von ihm. Vor allem, dass er nur 1,83 Meter groß ist, sahen viele Talentspäher als Problem. Und tatsächlich ist es schwierig für einen kleineren Spielmacher, über das Gewusel vor ihm zu blicken, um potentielle Anspielstationen zu finden. Die Würfe von Brees, so beschreiben es ehemalige Mitspieler, kommen bisweilen wie aus dem Nichts, aber immer auf den Punkt. Brees hat fast im Alleingang dafür gesorgt, dass nicht mehr nur Quarterbacks mit Gardemaß eine Chance in der NFL bekommen. Der noch einmal drei Zentimeter kleinere Kollege Russell Wilson, Super-Bowl-Sieger mit den Seattle Seahawks, hat sich schon dafür bedankt, was Brees „für die ‚short guys‘ geleistet hat“.

In New Orleans ist Brees seit dem Super-Bowl-Sieg der Saints – viereinhalb Jahre, nachdem die Stadt von Hurrikan Katrina zerstört worden war – zwar ein Säulenheiliger. Aber im Rest des Landes wird er überraschend selten genannt, wenn es um den besten Quarterback aller Zeiten geht. Oft schafft er es nicht einmal in die Top-Ten-Listen. Das hat vor allem einen Grund: Brees spielte stets im Schatten von Kollegen wie Peyton Manning, Aaron Rodgers oder Tom Brady, die mehr Titel gewannen, spektakulärere Spielzeiten ablieferten oder öfter in den Schlagzeilen der Regenbogenpresse auftauchen. Nicht nur im Vergleich zu dem mit Supermodel Gisele Bündchen verheirateten Brady wirkt Brees – streng gläubig, vollkommen skandalfrei und seit dem College mit derselben Frau zusammen – wie ein Langweiler. Auch ein zweiter Super-Bowl-Sieg wird dieses Image nicht nachhaltig verändern können. Drew Brees wird es recht sein.

Thomas Winkler