Ehrenname
„Luftschutzsirene“

Bruce Dickinson ist Sänger der Metal-Institution Iron Maiden. Nun hat er seine Memoiren vorgelegt

Von Frank Schäfer

Die traditionsreiche Oundle School in Nor­thamp­tonshire zieht offenbar bis heute „anständige, aufgeschlossene Erwachsene“ heran, „die den festen Willen haben, etwas zu leisten“. Einer ihrer Schüler, Bruce Dickinson, kommt erst nach der sechsten Klasse auf dieses Elite-Internat. Ein Martyrium aus Züchtigungen und Folter beginnt, wie so oft, wenn Anstand in Großbuchstaben gepredigt wird. Die älteren Jungs fallen über die jüngeren her. Und die Lehrer dürfen mitmachen. „Das Ziel war maximale Angst und maximaler Schmerz, denn sechs Hiebe durch einen Baumwollpyjama sorgten fast immer für blutende Wunden“, schreibt Dickinson in seiner Autobiografie „What does this button do?“. Er schafft es dann trotzdem an die Universität nach London, wo 1977 musikalisch die Abrissbirne kreist. Er lernt die nötigen drei Griffe und schließt sich einer Punkband an.

Arthur Brown begeistert ihn nicht nur als rabiater Schreihals. Die „Crazy World“, die er auf der Bühne zelebriert, schaut sich Dickinson ganz genau an. Und das calvinistische Leistungsethos seiner Schule hinterlässt Spuren. Folgerichtig ist der nächste Schritt eine Band mit Plattenvertrag. Mit Samson spielt Dickinson zwei grundsolide, in den einschlägigen Kreisen bis heute geschätzte Alben ein, „Head On“ und „Shock Tactics“. Auf letzterem ist dank der Mithilfe des moderat sadistischen Schleifers Tony Platt bereits alles da – dieses unverwüstliche, gerade in den höheren Registern ungemein kraftvolle Shouting, das ihm bald den Ehrennamen „Luftschutzsirene“ einbringt.

Aber auch Samson sind nur ein Sprungbrett. Den letzten Gig spielt er auf dem 1981er Reading-Festival, gleich danach heuert ihn die Band der Stunde an – mit Iron Maiden soll er in den folgenden Jahren maßgeblichen Anteil an dem Neuentwurf des Genres Heavy Metal haben. Iron Maiden ist die Band, auf die sich wirklich alle einigen können. Die nun folgenden Alben „The Number of the Beast“, „Piece of Mind“ und so weiter gehören nicht nur zum eisernen Kanon, sie machen die Mannen um Banddiktator Steve Harris für ein paar Jahre zur einflussreichsten Metal-Band überhaupt.

Mit dem Erfolg verflacht diese Autobiografie ein wenig. Über die wie geschmiert laufende Tournee-Album-Tournee-Maschine kann man kaum wirklich spannend erzählen, der Bandalltag ist langweilig. Man versteht sehr gut, warum sich Dickinson immer wieder Nebentätigkeiten sucht, die er dann mit dem ihm eigenen Ehrgeiz vorantreibt, die Fliegerei, das Fechten, die Romanschreiberei und dergleichen. Hinzu kommt, dass Iron Maiden puritanische Spielverderber und vor allem Kostverächter sind. Ein paar Pints im nächsten Pub, mehr Exzess ist bei ihnen nicht zu holen.

Für etwas Spannung hätten die bandinternen Streitereien sorgen können, aber hier lässt der Autor, typisch britisch, Dezenz walten. Über seinen jahrelangen „Ärger und Frust“, die Texte von Hauptsongwriter Steve Harris singen zu müssen, hätte man gern etwas mehr erfahren. „Für Steve geht es bei den Wörtern zuallererst um den Rhythmus, an zweiter Stelle um den lyrischen oder poetischen Gehalt und erst ganz zum Schluss um ein Format, mit dem sich das Maximum aus der menschlichen Stimme herausholen lässt.“ Als er das nach vielen Jahren herausgefunden habe, sei es leichter geworden. Das war’s. Sein Platz in der Band ist ihm mittlerweile wohl doch zu wertvoll.

Auch seine Demission 1992 läuft ein bisschen zu glatt. Er eröffnet seine Entscheidung dem Manager Rod Smallwood, und der regelt die Sache. Viel mehr erfährt man eigentlich nicht. Dafür wird dann beim Wiedereinstieg ordentlich die Pathostrommel gerührt. Sogar seine Band, mit der er als Solokünstler unterwegs ist und die durch die Reunion arbeitslos wird, soll ihm angeblich zugeraten haben. „Die Welt braucht Iron Maiden.“ Wenn aktuelle Geschäftsinteressen auf dem Spiel stehen, hat der Spaß ein Ende, da verfällt selbst so ein englischer Ironiker in den üblichen Promosprech.

Sonst allerdings grundiert ein knochentrockener Humor dieses Buch, der einem auch über die eine oder andere fade, brav die Erfolge abarbeitende Passage hinweghilft und der ihn auch nicht verlässt, wenn er von seiner zum Glück erfolgreichen Krebstherapie erzählt.

Bruce Dickinson: „What does this button do? Die Autobiografie“. Aus dem Englischen von M. Jost, D. Müller, H. Fricke, D. Fuchs. Heyne, München 2018, 445 S., 22 Euro