Winter auf der griechischen Insel: Rhodos Winterblues

Der Treffpunkt der Ausländer im Winter ist die legendäre Rock-Bar „Walk Inn“. Überhaupt kommt Rhodos erst im Winter zu sich.

Sonnenuntergang am Meer

Auch den Sonnenuntergang, hier an der Westküste von Rhodos, hat man im Winter für sich allein Foto: imago/McPhoto

Es ist ruhig, es ist sogar tiefenentspannt ruhig. Wenn sich Anfang Dezember nach einem heftigen Regentag die Wolken langsam wieder verzogen haben, hört man bei einem kleinen Sonnenbad im Garten die Geräusche der menschlichen Zivilisation nur noch ganz gedämpft, wie aus weiter Ferne. Unser Häuschen liegt an einer winzigen Gasse mitten in der historischen Altstadt und ist für Fremde praktisch nicht zu finden. Dennoch sind es nur wenige Schritte, bis man zu einem Sträßchen kommt, in dem sich im Sommer ein Touristenshop an den anderen reiht.

Jetzt sind alle Rollläden geschlossen und werden nur noch an den Tagen geöffnet, wenn im Hafen eines der großen Kreuzfahrtschiffe angelegt hat, die Rhodos auch im Winter anlaufen. Für wenige Stunden verwandelt sich dann ein Teil der Altstadt wieder in eine historische Kulisse für internationale Shoppingkunden, doch der Spuk ist so schnell vorbei, wie er begonnen hat. Danach sind die wenigen Winterbewohner der mittelalterlichen Stadt wieder unter sich.

Bewohner, die man im Winter überhaupt erst richtig wahrnimmt. Ärmere Rhodier, wie das Ehepaar Fanos und Mi­chae­lis, die in einem etwas renovierungsbedürftigen Haus uns gegenüber wohnen, oder die Witwe nebenan und der Tischler Janos, der in einer Quergasse wohnt und jetzt, wo es kaum noch etwas zu tun gibt, den halben Tag lang auf den Stufen seiner Werkstatt sitzt. Die Ausländer, die noch da sind werden gegrüßt und schon bald als Teil der Wintergemeinschaft akzeptiert.

Der Fremde wird eingemeindet

Mit dem Flieger

Rhodos im Winter zu besuchen ist ein besonderes Erlebnis, hat aber auch seinen besonderen Flugpreis. Ab Ende Oktober bis Mitte April fliegen die Chartergesellschaften Rhodos nicht an. Man muss daher immer über Athen fliegen, was die Flug­kosten erhöht.

Mit dem Schiff

Alternativ kann man vom Athener Hafen Piräus mit dem Schiff weiter nach Rhodos, dauert ungefähr 14 Stunden und ist schon an sich ein Erlebnis. Für unternehmungslustige Reisende kann es preiswerter sein, nach Istanbul zu fliegen, von dort mit dem Bus nach Marmaris zu fahren und dann mit der Fähre nach Rhodos überzusetzen. Die Fähre Marmaris–Rhodos fährt im Winter nicht jeden Tag.

Unterkunft

Es gibt einige Hotels und Pensionen, die das ganze Jahr über geöffnet haben. Eine davon ist die Pension Mango Rooms am schönen Dorieos-Platz in der Old Town von Rhodos.Buchen über Internet oder mit dem Betreiber Dimitri telefonieren: +30-22410-24877.Wer länger bleiben will, kann in den Wintermonaten günstig ein Ferienhaus mieten, sehr empfehlenswert, secretgardenresidenence@gmail.com

Essen und Trinken

Die meisten Restaurants in der Altstadt sind im Winter geschlossen. Geöffnet hat das legendäre „Walk Inn“, wie die Mango Rooms am Dorieos-Platz. Tel. +30-22410-74293. Auch sehr schön und das ganze Jahr geöffnet ist der Jachtklub direkt am Mandraki-Hafen. Tel. +30-22410-75723

Literatur

Zur Einstimmung auf Rhodos und die griechischen Inseln sind die Bücher des englischen Schriftstellers Lawrence Durell zu empfehlen: Sie sind alle als rororo-Taschenbuch erschienen und im Antiquariat billig zu erwerben.

Als wir Mitte November, nachdem, die meisten Touristen längst verschwunden sind, immer noch da sind, werden wir langsam in die Nachbarschaft eingemeindet. Die Witwe von nebenan kommt mit Kuchen und Michaelis von gegenüber hilft uns, unsere Markise vor dem Haus mit einer Plastikplane abzudecken, damit wir auch bei den gelegentlichen Herbst- und Winterschauern noch draußen sitzen können. Es ist, als käme der Ort erst jetzt zu sich selbst.

Die mehrere Kilometer lange gigantische Festungsmauer, die die Ordensritter der Johanniter im 14. und 15. Jahrhundert um die damalige Stadt anlegen ließen, schützt heute zwar nicht mehr vor Feinden, hält dafür aber gleich den ganzen Lärm der übrigen Welt draußen. Bei einem Sparziergang in der frühen Dämmerung, erinnern nur die elektrischen Straßenlampen in den ausgestorbenen Gassen daran, dass das Mittelalter auch in der Altstadt von Rhodos vorbei ist.

Die ganz überwiegende Zahl der rund 80.000 Bewohner von Rhodos-Stadt lebt außerhalb der alten Stadtmauern. Das hat praktische und historische Gründe. Die praktischen Gründe sind, dass Autos kaum durch die engen Gassen der Altstadt fahren können und die mittelalterlichen Gemäuer im Innern oft recht dunkel und schwer zu heizen sind. Der moderne Grieche zieht moderne Betonhäuser vor. Dazu kommt, dass die heutige Altstadt seit Jahrhunderten der Sitz ausländischer Invasoren war und die Autochthonen nur einen eingeschränkten Zugang zu ihr hatten.

Erst bevölkerten die fränkischen Kreuzritter die Stadt, dann die Osmanen, die den gesamten Dodekanes von Rhodos aus verwalteten, und zum Schluss kamen noch die Italiener, bevor die Insel erst im Jahr 1947 wieder griechisch wurde. ­Griechen durften in all diesen Jahr­hunderten innerhalb der Mauern zwar arbeiten, aber nicht siedeln. Sie gründeten ­deshalb die Neustadt Mandraki, die sich heute von der Nordspitze der Insel nach Süden erstreckt.

Viele strandeten hier

Das einst stolze Rhodos, dessen Bewohner im dritten Jahrhundert vor unserer Zeit nach einem glänzenden Sieg gegen einen der Diadochen Alexan­ders des Großen den berühmten Koloss von Rhodos errichteten, wurde später zuerst römische Kolonie und nach Gründung des Oströmischen Reiches ein vergessener, immer wieder überfallener Außenposten von Byzanz.

Das änderte sich, als Anfang des 14. Jahrhunderts die Ordensritter der Johanniter gemeinsam mit genuesischen Piraten die byzantinische Besatzung von Rhodos niedermachten und mit dem Segen des Papstes Rhodos zu einem katholischen Bollwerk im östlichen Mittelmeer ausbauten. Nach dem Fall von Jerusalem und Akko 1298 waren die Kreuzritter zunächst nach Zypern ausgewichen, suchten aber schon bald nach einer eigenen Basis. 1309 war Rhodos dann in der Hand der Johanniter, die sich dort über 200 Jahre festsetzten, bis Sultan Süleyman der Prächtige 1522 die Insel und den Stützpunkt für das Osmanische Reich eroberte.

Die Osmanen blieben fast 500 Jahre, bis das Reich am Ende des Ersten Weltkrieges unterging und Italien als eine der Siegermächte sich Rhodos unter den Nagel riss. Immerhin dauerte es bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nämlich bis 1947, bis Rhodos und der gesamte Dodekanes endlich wieder zum griechischen Mutterland zurückkam. Zwischendurch gab es durch Wehrmacht und SS noch ein blutiges Intermezzo auf der Sonneninsel.

Noch 1944 deportierte die SS rund 1.500 jüdische Rhodier nach Auschwitz und vernichtete damit die gesamte jüdische Gemeinde der Insel. Auf einem Platz in dem ehemals jüdischen Quartier der Altstadt erinnert heute ein Mahnmal an diese Barbarei. Darüber hinaus haben die Deutschen auf Rhodos zum Glück keine Spuren hinterlassen. Anders als in Athen oder Saloniki hatten die deutschen Besatzer auf Rhodos keine Zeit, sich zu verewigen. Deshalb ist in Rhodos ein architektonischer und kultureller Mix erhalten geblieben, der weltweit seinesgleichen sucht.

Nähert man sich mit dem Schiff der Insel, was ungleich spektakulärer ist, als mit dem Flugzeug dort zu landen, schimmern schon von Ferne die Bollwerke der Kreuzritter im Sonnendunst. Der Palast des Großmeisters, ein Ausbund gotischer Architektur, ragt über die Zinnen, was allein schon ein ungewöhnlicher Anblick im Mittelmeer ist. Neben den Kirchtürmen der gotischen Altstadt strecken aber auch noch etliche Moscheen ihre Minarette in den Himmel, ebenfalls bereits deutlich bei der Einfahrt in den Hafen zu erkennen.

Willi aus Wuppertal, Expad

„Trotz 7 Jahren Krise sind die Griechen meist viel relaxter als die reichen Deutschen“

Die gepflegten Repräsenta­tions­bauten am Hafen sind dann aber weder fränkisch noch osmanisch, sondern vollendete italienische Kolonialarchitektur, wie sie Mussolini in den von Italien eroberten Gebieten in Äthiopien, Eritrea, Libyen und eben auf Rhodos errichten ließ.

Berühmt für die Winterschwimmer

Jetzt im Winter lässt sich das alles, ungestört vom Betrieb der Restaurants und Shops, der die Altstadt im Sommer in einen touristischen Erlebnisparcours verwandelt, genießen. Plötzlich entdeckt man neben der historischen Freitreppe am Platz des Hippokrates, die im Sommer einer der beliebtesten Plätze ­skandinavischer Teenager ist, ein offenes Tor, das in eine wunderbare Stadtbibliothek führt. Am oberen Ende der Sokratesstraße, der Einkaufsmeile von Rhodos, liegt die muslimische Bibliothek gegenüber der Süleyman-Moschee, die allerdings für Besucher geschlossen ist.

Dafür ist die Ibrahim-Moschee, etwa 200 Meter von der Stadtbibliothek entfernt, für Gläubige und andere Besucher geöffnet. Hier trifft sich jeden Freitag die muslimische Gemeinde von Rhodos zum Gebet, und hier feiern die letzten Osmanen, wie sich die Türken auf Rhodos nennen, einige Male im Jahr das Beschneidungsfest für ihren männlichen Nachwuchs.

Auch dass Türken oder Osmanen auf Rhodos leben, ist etwas Besonderes in der Geschichte. Während alle Muslime beim türkisch-griechischen Bevölkerungsaustausch 1922 die Ägäis-Inseln verlassen mussten – im Gegenzug mussten die orthodoxen Griechen ihre Heimat auf dem türkischen Festland verlassen –, konnten die Türken auf Rhodos bleiben, weil die Insel ja damals zu Italien gehörte.

Süleyman, der unweit der Moschee einen Shop betreibt, kommt aus einer Familie, die schon seit Jahrhunderten auf Rhodos lebt. Obwohl viele zur türkischen Küste abgewandert sind, will er bleiben. „Es geht in den letzten Jahren wieder ganz gut mit den Griechen“, erzählt er. „Je besser sich beide Länder vertragen, umso besser für uns.“ Tatsächlich hat sich die Stadtverwaltung der sichtbarsten Hinterlassenschaften der Osmanen erbarmt und die Gebäude auf dem muslimischen Friedhof restauriert.

Am Ende des parkähnlichen Geländes, nur hundert Meter vom Strand entfernt, steht noch das Haus, in dem der berühmteste britische Besatzungsoffizier (die Briten waren von 1945 bis 1947 auf Rhodos), Laurence Durrell, das Buch über Rhodos („Leuchtende Orangen“) als Teil seiner Griechenland-Trilogie geschrieben hat.

Überhaupt der Strand. Rhodos ist berühmt für seine Winterschwimmer. Bis Ende Dezember, Mitte Januar liegt die Wassertemperatur noch bei 18 bis 20 Grad. Auch wenn die Lufttemperatur manchmal schon darunter liegt, ziehen die Winterschwimmer jeden Tag regelmäßig ihre Bahnen. Die Stadtstrände ziehen sich von der Ostseite um die Nordspitze der Insel herum bis weit nach Westen. Weil der Wind fast immer aus Nordwest bläst, ist der östliche Elli Beach der windabgewandte geschützte Strand, wo auch das große Spielcasino von Rhodos steht. Jetzt, wo die Sonnenliegen längst weggeräumt und die Strandbars geschlossen sind, tummeln sich die Rhodier hier an sonnigen Tagen zuhauf.

Der Treffpunkt der Ausländer ist im Winter die legendäre Rock-Bar Walk Inn. Was im Sommer wie eine Kneipe unter vielen wirkt, entpuppt sich im Winter als Knotenpunkt für Aussteiger und Ex-Pads, die begeistert mitgehen, wenn ein langhaariger Barde erst eine Coverversion von Bob Dylans bekanntesten Songs anstimmt und anschließend eine Eigenkomposition eines griechischen Folk-Songs hinterherschiebt.

Selbst wenn draußen Winterregen die Nacht verfinstert, ist Rhodos doch „one oft he best places to be“, wie Willi aus Wuppertal nicht müde wird zu betonen. „Trotz sieben Jahren Krise sind die Griechen meist noch immer viel relaxter als die reichen Deutschen.“ Sagt es und verschwindet in den Gassen der alten Stadt

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