Eine Zaubervokabel?

Heimat, Sehnsucht, Nachbarschaften: Das sind die großen Schlagwörter zum taz lab 2019. Am 6. April sprechen wir über alles rund um das Thema: Europa

Europa: unbeschwertes Reisen dank offener Grenzen. Gilt das für alle? Foto: Andrew Testa/NYT/Redux/laif

Von Jan Feddersen

Auf den ersten Blick räumen Rechtspopulist *innen fast überall in der EU das Feld ab: Linke werden – abgesehen von Labour in Großbritannien – in die Bedeutungslosigkeit herabgewählt, Rechtsradikale oder rechtsgewirkte Vereinfacher genießen starke Popularität. Über die EU hinaus, ebenso zu Europa gehörig, gibt es Länder, die als demokratisch zu bezeichnen fern liegt, wie die Türkei und Russland.

Auf der anderen Seite gibt es, etwa in Deutschland, kleine feine proeuropäische Bewegungen, die sich aus akademischen Milieus speisen, kurz: aus dem wohlerzogenen, international orientierten Bildungsbürger*innentum. Sie veranstalten Foren zur europäischen Verständigung, stellen sich auf Emporen und rufen wohlmeinende Sätze zu Europa aus.

Man könnte, wenn man Böses wollte, in dieser Skizze eine Klassenspaltung erkennen: hier die Erfolge jener, die öffentlich Anspruch erheben, die Überhörten, die Prekären; dort, andererseits die Etablierten, die Europa beherzigen und doch hauptsächlich alte Ordnung meinen, die Nachkriegserzogenen, die wissen, dass die EU, neben allem politökonomischen Kalkül, vor allem ein Frieden erzwingendes Nachkriegsding ist. Die einen wollen Anerkennung, die anderen ihre finanziell lohnende Deutungsmacht behalten.

Lässt sich Europa so definieren? War die EU nicht auch für polnische Arbeitsmigrant*innen, die mit dem EU-Beitritt Polens nach Schweden und Großbritannien auswanderten? War das nicht überhaupt das eigentliche Europa – das der, wie man früher gesagt hätte, proletarischen Migration unter Absehung aller, wie man ebenfalls früher formuliert hätte, vaterländischen Treue?

Heimat Europa?

Das taz lab 2019 widmet sich, auch wegen im Mai stattfindenden Wahlen zum EU-Parlament, Europa. Mit den maßgebenden Stichworten: „Heimat * Sehnsucht * Nachbarschaften“.

Heimat ist dieses Europa der EU längst für alle heranwachsenden Frauen und Männer, die im Erasmus-Programm studieren – für die Grenzen innerhalb der EU keine Rolle mehr spielen. Sprachbarrieren? Keine Hürde. Heimat wiederum mag für Arbeitsmigrant*innen wie eh und je das jeweilige Herkunftsland sein – aber ihre Kinder werden diese nationalstaatlichen Heimaten weitgehend hinter sich lassen.

Europa – das ist für viele Geflüchtete eine entscheidende Zaubervokabel. Vielleicht auch eine, wie Ungarn zeigt, hässliche und fremdenfeindliche. Aber alle wissen mehr oder weniger, dass bei allen Startschwierigkeiten in der neuen Heimat in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland oder Belgien so etwas wie Zukunft möglich sein kann.

Die Sehnsucht aller ist: in gesicherten Verhältnissen leben, ohne Hass, dass einem nicht allzu viele Knüppel in die Speichen werfen und dass ihre Kinder eine vom Krieg versehrte Lebensmöglichkeit haben. Nachbarschaften – das sind keine politischen aufgejazzten Konstrukte, sondern die praktischen Ergebnisse von Integration, wie sie aktuell überall in Europa, besser: in der EU stattfinden. Man will privat sein können und auch gleichzeitig mit anderen halbwegs gut zusammenleben.

Wie das noch besser und überhaupt gelingen kann, davon handelt das taz lab 2019. Negativ formuliert: Wie kann verhindert werden, dass die Völkischen Siege einfahren und dass die proeuropäischen Kräfte nur an sich selbst und nicht an die Zukurzgekommenen denken? 80 Panels und Podien, Workshops, Streiträume und Abklingbecken für raue Gefühle: Seien Sie eingeladen – eine Debatte ohne unser Publikum lohnt einfach nicht.