QuereinsteigerInnen: Kaum eine/r gibt auf: Sie machen Schule

1.700 Quereinsteiger musste Bildungssenatorin Scheeres (SPD) im Sommer einstellen: Bis auf zwei haben alle durchgehalten. Es läuft. Aber läuft es auch gut?

Matheunterricht findet in Berlin statt – auch dank der QuereinsteigerInnen Foto: picture alliance/Julian Stratenschulte/dpa

Die CDU forderte den Rücktritt der Bildungssenatorin, der Landeselternausschuss äußerte sich alarmiert, Schulen organisierten Protestaktionen: Nur noch ein gutes Drittel der im Sommer eingestellten LehrerInnen hatte auf diesen Beruf hin auch studiert. Bei den GrundschullehrerInnen waren es sogar lediglich 14 Prozent. Zumindest eines konnte Senatorin Sandra Scheeres (SPD) aber nun feststellen: Bisher haben nur 2 der rund 1.700 im August eingestellten SeiteneinsteigerInnen vorzeitig wieder aufgegeben. Und auch diejenigen, die schon länger im Quereinstieg sind, schlügen sich tapfer: „Die Durchfallquoten bei der Staatsprüfung sind sehr gering – ähnlich wie bei den klassisch ausgebildeten ReferendarInnen“, sagte Scheeres der taz.

Irgendwie läuft es also – aber läuft es auch gut? Was sagen die QuereinsteigerInnen selbst?

Frieder Hauke Euteneuer sitzt in einem Café im Wedding, nicht weit von hier liegt seine Schule, an der er als Quereinsteiger Informatik und Mathe unterrichtet. Er ist einer von denen, für die die Personalnot der Senatorin vor allem eine Chance bedeutet. Für ihn selbst und, wie Euteneuer betont: „Auch für die Schulen.“

Eigentlich hat Euteneuer Forstwissenschaften und Geoinformatik studiert. Zufällig las er in einer Fachzeitschrift einen Artikel über die Herausforderungen eines guten Informatikunterrichts für SchülerInnen. Er dachte: Das ist mein Job.

Euteneuer kündigte am Deutschen Geoforschungszentrum und fing vor vier Jahren als Informatiklehrer an einer Schule im Wedding an, als sogenannte Lehrkraft ohne volle Lehrbefähigung. Diese Aushilfslehrer gibt es seit Jahren in den Schulen. Normalerweise hangelten sie sich, ohne Karriere­perspektive und bei vergleichsweise geringem Gehalt, von Jahresvertrag zu Jahresvertrag: Weil viele kein Fach der Berliner Schule studiert haben, blieb ihnen das berufsbegleitende Referendariat versperrt.

In diesem Jahr machten sie hingegen einen Großteil der QuereinsteigerInnen aus. Nie waren die formalen Hürden vor dem Quereinstieg so niedrig: Die Bildungsverwaltung umwirbt diese Leute seit zwei Jahren intensiv, damit sie die Fächer nachstudieren, die ihnen für den Einstieg ins Referendariat fehlen.

„Was für eine Ressource!“
Frieder Hauke Euteneuer

„Quereinsteiger sind kein Notnagel, sondern eine Chance“

Scheeres hat dafür 2016 eigens ein zentrales Weiterbildungsinstitut, kurz StEPS, an der Friedrichstraße eröffnet. Euteneuer studiert dort Mathe nach. Am StEPS sitzt er mit vielen Naturwissenschaftlern zusammen. Er sagt: „Das sind alles Leute, die auch in die freie Wirtschaft gehen könnten. Aber sie wollen an die Schulen. Was für eine Ressource!“ Er sagt: „Wir sind nicht der Notnagel, als der wir in der Öffentlichkeit gerne dargestellt werden.“

Euteneuer kritisiert aber auch die Bildungsverwaltung. Die Politik nehme in Kauf, dass man Quereinsteiger wie ihn unterwegs verschleiße.

Die Arbeitsbelastung sei das Hauptproblem. 27 Stunden pro Woche steht er vor der Klasse. Weitere 9 Stunden in der Woche sitzt er am StEPS in den Mathe- und Didaktikseminaren, wo in zwei Jahren der Stoff eines vierjährigen Bachelor- und Masterstudiums durchgepaukt wird. Es fehle an Tutorien, die auf die Klausuren vorbereiten, die Didaktik komme mit nur zwei Seminaren viel zu kurz.

Katharina Müller* sieht das ähnlich. Die Kommunikationswissenschaftlerin holt am StEPS Mathe und Deutsch nach und arbeitet an einer Grundschule als Klassenleiterin einer dritten Klasse.

Am StEPS wird der Unterrichtsstoff nicht nach Schulform differenziert: „Aber warum muss ich mich als Grundschullehrerin mit höherer Mathematik auseinandersetzen?“, fragt Müller. „Mich interessiert, wie ich meiner Klasse rechnen beibringe – aber die Didaktik kommt viel zu kurz.“ Dabei, sagt Müller, „kann man ohne dieses Wissen gerade in der Grundschule viel kaputt machen.“

Die Unterstützung an ihren Schulen, sagen beide, sei hingegen top. Müller hat einen Mentor, mit dem sie sich einmal die Woche trifft. Auch Euteneuer sagt, obwohl es an seiner Schule ein Viertel SeiteneinsteigerInnen gebe, sei „die Kollegialität enorm.“ Das Notnagel-Image, das ihnen anhaftet, stört beide: „Wir retten schließlich die Schulen; ohne uns fände Unterricht nicht statt“, sagt Müller. Für die Eltern spiele ihr Status keine Rolle: „Niemand sieht in mir die Quereinsteigerin.“

„Wir wissen, dass es stressig ist“

Das Problem seien nicht die QuereinsteigerInnen, denn da gebe es – genau wie bei den LehramtsabsolventInnen – mehr oder weniger talentierte Leute, findet Euteneuer. „Das Problem ist, wie wir ausgebildet werden.“

Senatorin Scheeres sagt der taz, man sei offen für „konkrete Hinweise“ darauf, wie man den Quereinstieg verbessern könne. Unter anderem wolle man das bestehende Mentoringprogramm in den Schulen ausbauen. Scheeres betonte auch: „Wir wissen, dass es stressig ist.“ Aber dafür bekämen die QuereinsteigerInnen auch ein höheres Gehalt als die klassischen ReferendarInnen. In Berlin bekommen Letztere ein Grundgehalt von rund 1.300 Euro brutto monatlich. Die QuereinsteigerInnen im berufsbegleitenden Referendariat bekommen hingegen – im günstigsten Fall, der aber bei weitem nicht für alle zutrifft – gleich das Lehrereinstiegsgehalt von 5.300 Euro.

Auch wenn man am Rand des Burn-outs balanciere, wie Müller sagt: Sie will durchhalten – und engagiert sich jetzt in einer Arbeitsgruppe der Gewerkschaft, die die Bedingungen für den Quereinsteig verbessern will. „Ich bin an meiner Schule vonnöten“, sagt auch Euteneuer. „Das kann nicht jeder von seinem Job sagen. Und das ist doch ein schönes Gefühl.“

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