Hertha BSC in NS-Zeiten: Zwangsweise auf dem Platz

Als den Vereinen im Zuge des Weltkrieges die Spieler ausgehen, werden auch Zwangsarbeiter eingesetzt. So wie Bram Appel als Stürmer bei Hertha.

Bram Appel im Porträt, der in Nazi-Zeiten als Zwangsarbeiter bei Hertha BSC eingesetzt wurde

Bram Appel im Oktober 1957. Appel ist nicht der einzige Zwangs­arbeiter, den Hertha einsetzte Foto: imago

Als Hertha BSC 1944 inmitten von Kriegswirren, Hunger und Bombenangriffen die Gaumeisterschaft von Berlin-Brandenburg gewinnt, weiß kaum jemand, wie dieser begabte junge Mittelstürmer eigentlich in den Verein fand. Bram Appel, 23-jähriger Niederländer, schießt in 14 Einsätzen 12 Tore und verhilft Hertha damit maßgeblich zum Titel. Appel allerdings ist nicht freiwillig nach Deutschland gekommen: Er wurde als Zwangsarbeiter während der deutschen Besatzung aus den Niederlanden nach Berlin deportiert. Wie schätzungsweise 26 Millionen andere Männer, Frauen und Kinder, die in der NS-Zeit vom Regime zur Zwangsarbeit verschleppt wurden.

Die deutsche Presse erwähnt Appels Geschichte nicht. Manche Zeitungen nennen ihn beim zweiten Vornamen Leo, das klingt weniger jüdisch als Bram. Die Tätigkeit bei Hertha rettet dem jungen Zwangsarbeiter möglicherweise das Leben. Und sie ist Teil eines kaum beleuchteten Aspektes der deutschen Sportgeschichte.

„Zwangsarbeit und Sport, das ist noch ein weitgehend unbekanntes Thema“, sagt Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangs­arbeit in Niederschöneweide. Das liege vor allem daran, dass Zwangsarbeit über Jahrzehnte nicht als NS-Unrecht anerkannt war. Man habe sie für ein legitimes Mittel gegen Arbeitskräftemangel im Krieg gehalten und kein Unrechtsbewusstsein gehabt. „Wir merken immer noch, dass vielen Besuchern überhaupt nicht bewusst ist, wie flächendeckend und alltäglich Zwangsarbeit war.“

Allein in Berlin gab es nach Angaben des Dokumentationszentrums rund 3.000 Lager für ZwangsarbeiterInnen. Die Menschen waren überall tätig, in Bäckereien, Brauereien oder Geschäften, in der Landwirtschaft, in Fabriken oder Privathaushalten. Und in ihrer Freizeit auch im Sport. Erst mit dem Beschluss der Bundesregierung im Jahr 2000, noch lebende ZwangsarbeiterInnen teilweise zu entschädigen, begann man, sich für ihre Schicksale zu interessieren. Wie für das von Appel.

Ein begeisterter Hobbyfußballer

Bram Appel, 1921 in Rotterdam geboren, ist schon in den Niederlanden ein begeisterter Hobbyfußballer. Das ist wohl sein Glück. Als er 1942 bei einer Razzia festgenommen und deportiert wird, landet er zunächst in der Rüstungsindustrie, wo die Arbeit lebensgefährlich ist. Appel aber ist Westeuropäer. „Es gab massive Unterschiede in der Behandlung von ost- und westeuropäischen Zwangs­arbeitern“, so Glauning. „Wir haben Belege gefunden, dass Niederländer, Tschechen und Franzosen sich freier bewegen und zum Beispiel mal ins Kino gehen konnten. Für Osteuropäer wäre das so nicht vorstellbar gewesen. Und wenn, dann nur unter großer Gefahr.“

Christine Glauning, Dokumenta­tionszentrum NS-Zwangsarbeit

„Das Thema Sport und Zwangsarbeit ist fast unbekannt“

Vor allem Arbeiter aus der Sowjetunion und Polen galten in der NS-Rassenideologie als minderwertig. Westeuropäer dagegen hatten begrenzte Freizeitmöglichkeiten. Auch für Sport. „Wir wissen schon länger, dass Zwangsarbeiter auch Fußball gespielt haben – vor allem Niederländer und Tschechen“, so Glauning. In diesem Zusammenhang stießen sie auf Bram Appel, dessen Geschichte das Dokumentationszentrum aktuell neben anderen ausstellt.

Je weiter der Krieg fortschreitet, umso mehr gehen Spitzenteams wie Hertha die Spieler aus. Zwangsarbeiter mit Fußballtalent sind leicht zu verpflichtender Ersatz. Einen Russen oder Polen aufzunehmen wäre aus rassistischen Gründen kaum vorstellbar, aber Niederländer sind weniger stigmatisiert. Herthas damaliger Trainer Hans Sauerwein lässt Appel verpflichten.

Er wird aus der Fabrikarbeit abgezogen, kommt in ein Büro, bekommt ein eigenes Zimmer in Ruhleben und höhere Essensrationen. Appel ist nicht der einzige Zwangsarbeiter, den Hertha einsetzt. Zwei weitere Spieler sind dem Dokumentationszentrum bekannt: die beiden Niederländer Eli de Heer und Nout Bierings. Die ForscherInnen des Dokumentationszentrums sind nicht die Ersten, die sich dem Thema widmen. Schon der Historiker Daniel Koerfer hat im Standardwerk „Hertha unter dem Hakenkreuz“ von 2009 das Schicksal von Bram Appel recherchiert und publik gemacht.

Mannschaftsfoto polnischer Zwangsarbeiter

Doch weiterhin gibt es viele Lücken beim Thema Zwangsarbeit und Sport. Andere Berliner Vereine, die Zwangsarbeiter beschäftigten, sind bislang nicht recherchiert. Auch nicht, in welchen weiteren Sportarten Berliner Zwangsarbeiter möglicherweise aktiv waren. Eventuell, darauf deutet ein Mannschaftsfoto polnischer Zwangsarbeiter hin, war es auch für Osteuropäer möglich, Sport zu treiben, zumindest in Lagern.

Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit möchte sich künftig verstärkt mit dem Thema Sport befassen. In der Fußball-Fan-Kultur ist das Thema NS-Zeit und Forschung mittlerweile sehr präsent. Die Recherchen von Hertha-Fans über den ehemaligen jüdischen Mannschaftsarzt Hermann Horwitz und über das jüdische Vereinsmitglied Eljasz Kaszke sind nur zwei aktuelle Beispiele.

„Es gibt etliche Fan-Projekte von Fußballvereinen zum Thema Nationalsozialismus, zum Schicksal jüdischer Vereinsmitglieder“, sagt auch Glauning. „Hertha BSC zum Beispiel macht eine tolle Arbeit auf diesem Gebiet. Da tut sich seit einigen Jahren viel, und ich denke, das ist eine gute Möglichkeit, andere Zielgruppen anzusprechen.“ Vor allem mit spektakulären Biografien wie der von Appel. Es sind sogar einige Interviews erhalten, die er später in den Niederlanden gab.

Darin sprach Bram Appel durchaus differenziert über seinen Ex-Klub: Rassenwahn habe es bei Hertha nicht gegeben, auch den Hitlergruß musste er nicht zeigen. „Bei Hertha habe ich mit Jungs gespielt, die richtige Freunde für mich wurden. Es waren alles junge Männer, die den Krieg genauso schrecklich fanden wie ich.“ Und: „Hertha war überhaupt kein Nazi-Klub.“

Ein durchschnittlicher Fall, gewiss, ist er nicht: Wenige Zwangsarbeiter hatten so viel Glück. Nach dem Krieg kehrte Appel in seine Heimat zurück. Wie so viele andere Zwangsarbeiter wurde er dort als vermeintlicher Kollaborateur diskriminiert.

Erst 1948 durfte er im holländischen Nationalteam spielen. Der Ex-Herthaner legte eine erfolgreiche Spieler- und Trainerkarriere in Frankreich, Belgien und den Niederlanden ein; unter anderem wurde er mit Stade de Reims französischer Meister- und Pokalsieger. Aus dem Nationalteam aber wurde er bald wieder entlassen: Er hatte die Führung für ihre Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern kritisiert.

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