Das bisschen Schulpflicht

Ein sechsjähriger Junge aus Bremerhaven geht seit Monaten nicht zur Schule, weil sich Stadt und Mutter um die Einstellung eines Schulbegleiters streiten. Eine Lösung ist nicht in Sicht

Einige Kinder sind auf eine Begleitung durch eine Assistenz in der Schule angewiesen Foto: Sebastian Willnow/imago

Von Gareth Joswig

Ein sechsjähriger Junge mit Hilfsbedarf aus Bremerhaven geht seit drei Monaten nicht mehr zur Schule. Ein Streit um die Bewilligung einer Schulbegleitung zwischen dem Jugendamt und der Bremerhavener Karl-Marx-Grundschule einerseits und der Mutter des Jungen andererseits verhindert, dass dieser am regulären Unterricht teilnehmen kann. Das Verwaltungsgericht Bremen hatte zwar im Oktober einstweilig angeordnet, dem laut Behörde verhaltensauffälligen Kind bis spätestens zu den Weihnachtsferien eine Begleitung zur Teilhabe an der Schule zu bewilligen, aber eine Einigung darüber blieb trotzdem aus.

Die Mutter Carola K. hatte geklagt und per Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts in ihrem Anspruch auf eine Schulbegleitung recht bekommen. Bremerhaven drängte in der Verhandlung laut dem der taz vorliegenden Urteil auf eine Beschulung in der Tagesschule des Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentrums (Rebuz) und bekam unrecht. Eine Beschulung mit Assistenz findet dennoch nicht statt.

Weil ihr Kind mittlerweile bereits seit über drei Monaten de facto nicht mehr in der Schule ist, wünscht sich K. für ihren Sohn einen Neustart und eine erneute Einschulung zum nächsten Schuljahr. Erst einmal gehe es ihr darum, sagt sie, ihren Sohn nach der in diesem Jahr missglückten Einschulung zu stabilisieren. Die Schule habe im September mitgeteilt, dass ihr Kind wegen Schwierigkeiten im Unterricht nicht mehr beschult werde, etwas Schriftliches habe sie nicht bekommen. In Gesprächen mit Behörden und Schule sei es zu keiner Lösung gekommen.

Ein Streitpunkt war dabei insbesondere, dass die Mutter selbst einen Schulbegleiter bestimmen und anstellen wollte und nicht auf die vorgeschlagenen KandidatInnen der Behörde eingehen wollte. „Das Jugendamt möchte uns bevormunden, das steht ihm aber nicht zu“, sagt K. Es sei ihr Recht, wie bei der Arzt- und Therapeutenwahl, frei zu entscheiden, wer ihr Kind zur Schule begleite.

Sie will die Assistenz über das persönliche Budget beantragen. Das ist eine Form sozialer Leistungen, die es seit 2001 gibt und die laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorsieht, dass Menschen mit Behinderungen Leistungen zur Teilhabe selbstständig einkaufen und bezahlen können – in der Regel in Form von Geldleistungen und Gutscheinen. Das gilt auch für die Eltern von Kindern mit Behinderungen, zu denen aus Sicht des Verwaltungsgerichtsbeschlusses auch der Junge zählt, um den es geht.

Die Behörde gibt trotz der einstweiligen Anordnung durch das Gericht der Mutter die Schuld an der Gesamtlage. Sie sei es, die die Beschulung ablehne, lasse nicht mit sich reden und sei nicht zu Kompromissen bereit. Jugendamt und Stadt argumentieren auf ein Mitspracherecht, wer zur Schulbegleitung eingestellt werde – fachliche und persönliche Eignung müssten sichergestellt sein.

Die Behörde argumentiert außerdem, dass ein Schulbegleiter dazu in der Lage sein müsse, zwischen Kind, Schule und möglicherweise auch Jugendamt vermittelnd aufzutreten.

„Das Jugendamt möchte uns bevormunden, das steht ihm aber nicht zu“

Carola K.

Zwei von der Stadt vorgeschlagene Schulbegleiter habe K. abgelehnt – die von ihr präferierte Person sei wiederum nicht qualifiziert, heißt es aus der Behörde. „Wenn sie alle Angebote ablehnt, wird es schwierig zu helfen“, sagt Volker Heigenmooser, Sprecher des Magistrats Bremerhaven. Der Fall beschäftige Stadt und Jugendamt schon lange.

Tatsächlich ist Schulbegleitung oder auch Individualbegleiter, Integrationshelfer oder Schulassistenz kein Ausbildungsberuf. Oft wird diese Tätigkeit auch durch Menschen im Bundesfreiwilligendienst ausgeübt. Es gibt zwar schon einzelne Projekte wie an der Uni Hildesheim zur Professionalisierung und auch Forderungen danach – aber verbindliche Qualifikationen gibt es bislang noch nicht.

Aus Sicht von Carola K. spricht das dafür, dass sie selbst aussuchen kann, wer ihr Kind zur Schule begleitet. Einfach den Schulbegleiter der Stadt akzeptieren will sie nicht, weil sie schlechte Erfahrungen mit den Trägern gemacht habe. Eine weitere Klage beim Verwaltungsgericht, um ihr persönlich Budget einzuklagen, sei anhängig.

Wie es nun mit dem Jungen weitergehen soll, sagt die Behörde nicht. Stattdessen habe das Jugendamt nun beantragt, der Mutter das Sorgerecht zu entziehen, wie K. auf erneute Nachfrage mitteilt. Eine Anhörung dazu finde Anfang Januar statt.