kampf gegen die mafia
: Grauzonen der Macht

Staatsanwalt und Polizei sind nicht alles: Ohne Einbeziehung der betroffenen Zivilgesellschaft lassen sich mafiöse Strukturen nicht zurückdrängen

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Benno Plassmann

ist Vorsitzender des Vereins Echolot – Projekte für demokratische Kultur, gegen Mafien e. V. und Herausgeber des Buchs „Die Wunde. Ndrangheta und Gesellschaft“ (Rom, 2012).

Medienbilder von Anti-Mafia-Razzien werden auch in Deutschland langsam zu einem vertrauten Anblick. Erst kürzlich wieder, bei der europäischen Aktion „Pollino“, fuhren die Polizeiautos vor, schwer bewaffnete Polizist_innen schwärmten aus, einige Leute wurden festgenommen, abgeführt und dann kam auch schon der Schnitt zur Pressekonferenz: ernst dreinblickende Männer, die uns erklären, wie gut die Arbeit der Sicherheitsbehörden gewesen ist.

Mafien sind eine Akkumulation großer Macht, die sich demokratischer Kontrolle entzieht. Sie lebt von der Einschüchterung und Angst weiter Teile einer Bevölkerung, sorgt für Verteilungsungerechtigkeit, führt aber auch zu einem Leben in Unfreiheit. Beim mafiösen Modell von Macht handelt es sich immer um eine Form der Verzahnung wirtschaftlicher, krimineller und politisch-administrativer Macht – die Rolle (pop)kultureller Codes für ihren Erhalt sollte nicht übersehen werden.

Zwei der Männer, die nach „Pollino“ vor die Kameras traten, machen jedoch stutzig: Federico Cafiero De Raho, seit einem Jahr Leiter der nationalen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft Italiens und vorher Chef der Staatsanwaltschaft von Reggio Calabria. Und der auch aus deutschen Boulevardmedien bekannte Co-Chef der Staatsanwaltschaft von Reggio Calabria, Giuseppe Lombardo. Die beiden Staatsanwälte sind zentrale Figuren in der Kampagne gegen die kalabresische Anti-Mafia-Bewegung. In den vergangenen Jahren haben sie aufwendige Ermittlungen geführt zu gemeinnützigen Anti-Mafia Vereinen und namhaften Aktivist_innen – in der festen Vorannahme, dass diese in Wirklichkeit mafiöse Tarnorganisationen seien.

Mit Informationen aus den Ermittlungen wurden mediale Rufmordkampagnen gefüttert, ohne dass wegen der Weitergabe von Dienstgeheimnissen ermittelt wurde. Und schließlich wurden mehrere Personen angeklagt, die sich nun in den berüchtigt langen italienischen Prozessen verteidigen müssen.

Fern von zu Hause, wo Cafiero De Raho und Lombardo wegen ihrer zersetzenden Rolle hoch umstritten sind, werden sie zu medialen Stars: die guten, ernsten Staatsanwälte eben, die sich mit den Bösen in der Welt angelegt haben. Nebenbei verfolgen diese Männer strategisch das Ziel, die Macht der Apparate, ihre Macht auszubauen. Eine engagierte und professionelle Zivilgesellschaft ist ihnen dabei offensichtlich hinderlich.

Ohne Zivilgesellschaft funktioniert die Zurückdrängung der Mafien jedoch nicht. Man stelle sich die Geschichte der internationalen Klima- und Umweltschutzpolitik vor ohne die NGOs! Da das mafiöse Modell gesellschaftlicher Machtausübung für genug Menschen attraktiv ist, werden auch die von „Pollino“ freigeräumten Posten von neuen Mafiosi und Exponent_innen der Grauzone besetzt werden. Es können noch so viele „Schläge gegen die Mafien“ ausgeführt werden: Wenn das (angeblich!) schnelle Geld lockt, wenn eine Macho-Kultur unanfechtbares Selbstwertgefühl verspricht, wenn Zyniker_innen der Macht aus dem Hintergrund „Win-win-Situationen“ auf Kosten Dritter herstellen können, dann bleiben die Mafien ein erfolgreiches Machtmodell.

So wichtig die Arbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei auch ist: Nur in einem Prozess kulturellen Wandels, angeführt von der demokratischen Zivilgesellschaft, ist es möglich, dieses Machtmodell zu stigmatisieren und seine Attraktivität Schritt für Schritt zu reduzieren. Ohne das Wissen von Unterstützungs- oder Selbstorganisationen von Betroffenen, die unter mafiöser Präsenz in vielen gesellschaftlichen Bereichen leiden, wird man diese Machtsysteme nicht verstehen: Beratungsstellen für Spielsüchtige, für Betroffene von Menschenhandel, für Drogenabhängige, für Geschädigte von gefälschten Medizinprodukten. Und was könnten Gewerkschaften und Berufsverbände anfälliger Branchen erst alles erzählen: Bau- und Immobilien-, Müll- und Forstwirtschaft, Gastronomie und Lebensmittelhandel, Sexarbeit, die Logistikbranche (Hafenwirtschaft!), um nur wenige zu nennen.

Universitäten, Medien und staatliche Stellen müssten solches Erfahrungswissen suchen und anerkennen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass das Problem Mafia vor Ort benannt wird und sich die Zivilgesellschaft den Begriff aneignet. Der medialen Präsentation des Phänomens Mafia ist geschuldet, dass weiter eher mit Marlon Brando assoziiert wird als mit der Putzhilfe ohne Arbeitsvertrag oder der Spielhölle nebenan.

Mafia wird weiterhin eher mit Marlon Brando assoziiert als mit der Putzhilfe ohne Arbeitsvertrag von nebenan

Wichtig wäre, die Mafien nicht als Spiel zwischen ernsten (Lombardo) beziehungsweise brutalen (Marlon Brando) Männern zu sehen, sondern die Aufmerksamkeit auf die Selbstermächtigung zivilgesellschaftlicher (Betroffenen-) Gruppen zu lenken. Nur so können Personen aus dem vereinzelten Leiden unter Zwang und mafiöser Dominanz heraustreten. Und nur so können Forderungen erarbeitet und mit Ausdauer eingefordert werden.

Aus Deutschland gibt es bisher, außer dem wichtigen Versuch, Aufmerksamkeit zu schaffen, keine Beispiele für erfolgreiche zivilgesellschaftliche Anti-Mafia-Arbeit. Seriöse Bündnisarbeit muss jetzt anfangen. Dann werden auch sinnvolle Ansätze entstehen, wie ein Modell der sozialen Umnutzung von eingezogenen Immobilien der Mafia oder eine neue menschenrechtlich grundierte und geschlechterreflektierende Praxis in der Jugend- und Familiensozialarbeit, um Alternativen zur mafiösen „Karriere“ zu schaffen. Oder in Formaten politisch-historischer Bildung, die aufräumen mit dem rassistischen Mythos, dass die Mafien von „außen“ nach Deutschland gekommen seien: Ohne eine Grauzone, die meint, von den Mobstern profitieren zu können, gäbe es auch keine mafiösen Machtsysteme in Deutschland.