Umstrittenes Staudamm-Projekt in Chile: Ein Dorf kämpft um sein Zuhause

Im chilenischen San Fabián will eine italienische Firma den Bau eines Staudamms durchdrücken – auch gegen den Willen der BewohnerInnen.

Eine Protestgruppe steht vor einem Fluß und hält ein Banner hoch

Die NGO Ñuble Libre protestiert gegen das Bauprojekt Foto: Ñuble Libre

BUENOS AIRES taz | Mit Gewalt sollten sie aus ihren Häusern vertrieben werden – um Platz für einen Staudamm zu machen. In San Fabián de Alico in der zentralchilenischen Region Ñuble rund 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago gingen Spezialeinheiten der Polizei mit massivem Aufgebot gegen die Bevölkerung vor.

Die Aktion wurde von der Nichtregierungsorganisation Ñuble Libre gefilmt und ins Netz gestellt. Auf dem Video ist zu sehen, wie die Polizei die überraschten BewohnerInnen zum sofortigen Verlassen ihrer Häuser auffordert. Später wird gezeigt, wie Hab und Gut in Polizei- und Fahrzeugen der privaten Baufirma abtransportiert wird. Dann reißt ein Bagger Häuser ab. „Einige Häuser wurden demoliert“, bestätigte der Anwalt Ricardo Frez, der die Betroffenen vertritt.

Dass es sich um eine unrechtmäßige Aktion handelte, bestätigte das zuständige Umweltgericht in Valdivia. Einstimmig gab das Gericht einer einstweiligen Verfügung der Betroffenen statt, die sich auf der Nichteinhaltung von Vereinbarungen in der Umweltverträglichkeitsverordnung stützte. Die besagen, dass den Betroffenen zuvor ein neuer Wohnort mitgeteilt werden muss und welche Entschädigungen sie erhalten.

Das Gericht verhängte nicht nur einen sofortigen Räumungsstopp, sondern ordnete zugleich die Rückgabe der abtransportierten Gegenstände durch die Polizei an. „Wir wissen, dass das Ministerium für öffentliche Bauten den Räumungstitel beantragt hat. Jetzt wollen wir wissen, wer das Vorgehen der Polizei angeordnet hat“, kommentierte Frez die richterlichen Anweisungen.

Gespaltene Bevölkerung

Die italienische Baufirma Astaldi schiebt den staatlichen Behörden die alleinige Verantwortung zu. Hintergrund der Auseinandersetzungen sind der Bau eines Staudamms und eines Wasserkraftwerks. Eine 136 Meter hohe und 500 Meter breite Mauer soll das Wasser des Río Ñuble auf einer Fläche von 1.700 Hektar stauen. Das geplante Kraftwerk soll jährlich 470 GWh Strom liefern. Zwar wird schon seit Jahrzehnten über das Vorhaben diskutiert, aber erst 2010 wurde der Bau der Staumauer von der Regierung in Santiago beschlossen.

Die Meinung in der Bevölkerung über den Bau ist gespalten. Während ein Teil sich gegen eine Umsiedlung und die Überflutung ihrer Ländereien wehrt, unterstützen die vermeintlichen Gewinner in der strukturschwachen Region das Projekt. Die Befürworter werben nicht nur mit der Strom­erzeugung, sondern auch damit, dass der zukünftige Stausee die Bewässerung von 60.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche sichern wird. Von deren Bewirtschaftung hängt die Existenz von rund 5.000 Familien ab.

Im August war das Projekt einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Die Umweltkommission hatte damals den Bau der 23 Kilometer langen Stromtrasse genehmigt. Ohne diese Trasse würde das Kraftwerk keinen Sinn machen. Damit wäre auch der Staudamm überflüssig. Spätestens im ersten Quartal des kommenden Jahres soll mit dem Bau der Staumauer begonnen werden. Dass vor allem Astaldi Druck macht, ist kein Geheimnis. Nach Angaben der chilenischen Wirtschaftszeitung Diario Financiero verhandelt der Baukonzern gegenwärtig mit seinen Gläubigern über die Umschuldung seiner auf rund 2,3 Milliarden Dollar laufenden Verbindlichkeiten. Die Firma versucht sich mit dem Mammutprojekt also zu sanieren.

Unterstützung aus dem Parlament

Nach der Räumung zogen die Dorfbewohner vor das Rathaus von San Fabián. Wut, Ohnmacht und Enttäuschung richteten sich vor allem gegen Bürgermeister Claudio Almuna. Der hatte sich 2016 als Kandidat der Partido Ecologista Verde im Wahlkampf um den Amtssitz im Rathaus als überzeugter Umweltaktivist und entschiedener Staudammgegner gezeigt. Doch nach seinem Wahlsieg wurde er zum glühenden Befürworter des Projekts. Im Februar war er aus der Öko-Partei ausgetreten und gehört inzwischen der erzkonservativen Renovación Nacional an.

Die Erlaubnis zur Rückkehr erhielten die Betroffenen erst Mitte Dezember. „Die Betreiberfirma Astaldi hatte sich verpflichtet, sich um die Tiere zu kümmern. Aber was wir in Begleitung von Veterinären der Clínica Integral de Chillán vorgefunden haben, ist das Gegenteil“, sagte Frez. 200 Hühner waren verendet, 10 Kühe ­abgemagert und erkrankt. Bisher bekommt der Fall selbst in Chile noch wenig Aufmerksamkeit.

Unterstützung kommt nun aus dem Parlament. Die Abgeordneten des Umweltausschusses trafen sich mit Betroffenen und kündigten an, Minister Juan Andrés Fontaine vor den Ausschuss zu zitieren. Auch die Verantwortlichen der Baufirma wollen die Parlamentarier vorladen.

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