Das
wird
Berlin
bewegen

2019 wird viele Gelegenheiten für De-
batten mit breiter Bürger*innenbeteili-
gung bieten: über die Enteignung von Immobilienhaien, den Sinn von Fahr-
verboten oder die Chancen, die das Humboldt Forum bietet. Fünf Ausblicke

Lust auf Enteignung

Im April beginnt die Unterschriftensammlung für „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Die Erfolgsaussichten sind gut

Von Erik Peter

Kann es gelingen, die Debatte über Mieten und das Recht auf Wohnraum progressiv zu wenden? Weg vom Lamentieren über die unendlich steigenden Mietpreise, weg vom Hoffen auf politische Regulierung, von eher hilflosen Protestformen? Berliner Aktivisten haben ein Ja auf all diese Fragen gefunden: die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“.

Erst im April will die Initiative so richtig durchstarten und mit der Sammlung von Unterschriften für ein Volksbegehren beginnen. Doch schon jetzt scheint eine weitere Frage in ihrem Sinne beantwortet: Kann ihr waghalsiger Plan auf mehr stoßen als auf radikale Ablehnung? Nachdem die Berliner Linke im Dezember ihre Unterstützung beschloss, griff geradezu Enteignungslust um sich. „Enteignung. Höchststrafe für Gier-Vermieter?“, titelte der Berliner Kurier, und selbst der Tagesspiegel schrieb von einer zwar „gewöhnungsbedürftigen“ Idee, die „aber politisch gesehen ein schönes Signal“ sei.

Interessant wird sein, wie sich die Stimmung entwickelt, wenn es ernst wird. Denn die Initiative rechnet damit, die Unterschriften schnell beisammenzuhaben. 20.000 braucht es für die erste Stufe – dies dürfte in wenigen Wochen gelingen.

Auch die Erfolgsaussichten für die 180.000 Unterschriften in Etappe 2 sind gut: Reichen würde allein schon die Unterstützung der MieterInnen in den 110.000 Wohnungen der Deutsche Wohnen; vergesellschaftet werden sollen aber alle privaten Unternehmungen mit mehr als 3.000 Wohnungen, darunter also auch Akelius oder Vonovia. Ist das Begehren erfolgreich, müsste innerhalb von vier Monaten ein Volksentscheid folgen.

Einen Beschlusstext für das Volksbegehren hat die Initiative bereits Ende Oktober vorgelegt. Sie fordert damit den Senat auf, ein entsprechendes Gesetz selbst auf den Weg zu bringen. Die prüfende Innenverwaltung hatte bereits einige Kritik, zu Fall bringen wird sie das Vorhaben aber wohl nicht.

Und schon im Januar will das Bündnis darlegen, wie es notwendige Entschädigungen zu regeln gedenkt – und wieso diese deutlich unter Marktwert liegen müssten. Dennoch wird die Summe, vermutlich in zweistelliger Milliardenhöhe, einer der zentralen Streitpunkte werden.

Randsport mittendrin

Die Multi-Meisterschaften im August 2019 sind ein Testlauf für eine neue Art von Sportevents, die die Stadt mit einbeziehen

Von Alina Schwermer

Als Olympia im Kleinformat werden sie beworben, weil ja alles, was spektakulär klingen soll, irgendwie mit Olympia verglichen wird. Mini-Olympia kommt nach Berlin, so ähnlich jubelte im Sommer die lokale Presse. Der offizielle Name für die neuen Titelkämpfe im August 2019 ist: Multi-Meisterschaften.

Das wiederum klingt so dröge provinziell, nach gutem Vitaminsaft und Bundesjugendspielen, dass man niemandem verdenken kann, daraus Mini-Olympia gemacht zu haben. Es ist jedenfalls ein ziemlich ambitioniertes Unterfangen im sogenannten Randsport.

194 nationale Titel in 155 Disziplinen werden erstmals zeitgleich in Berlin ausgetragen. Leichtathletik, Schwimmen, Turnen, Bogenschießen, Boxen, Kanusport, Bahnradsport, Wasserspringen und andere Sportarten küren ihre deutschen MeisterInnen in einem gemeinsamen großen Event. 20 Stunden werden ARD und ZDF live übertragen, etwa 60 Stunden sollen im Livestream laufen. Thomas Fuhrmann, Sportchef des ZDF, sprach davon, „in die Nähe olympischer Dimensionen zu kommen“.

Der Randsport will den Fußball im Kollektiv angreifen. Diskutiert wird darüber schon seit Jahren; am 3. und 4. August ist es in Berlin nun so weit. Die kleinen Sportarten haben dazugelernt, vor allem aus Veranstaltungen der vergangenen Jahre wie den European Cham­pionships, die im Sommer 2018 in Berlin und Glasgow stattfanden.

Die zeigten erstmals gebündelte Europameisterschaften in sieben Sportarten und brachten den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten überaus gute Quoten. Ähnlich wie zuletzt das Turnfest und die Leichtathletik-EM sollen die Multi-Meisterschaften natürlich innovativ in die Stadt getragen werden: Die Kanuten werden quer durch die Innenstadt paddeln, es wird ein Familiensportfest im Olympiapark geben und die Wettkämpfe werden quer durch die Stadt auf verschiedene Locations verteilt.

2,5 Millionen Euro lässt sich Berlin die Veranstaltung kosten, sagte Sportsenator Andreas Geisel (SPD) im Sommer. Es wird auch ein Testlauf: Wie gut lässt sich nationaler Randsport im Paket verkaufen? Taugt das als dauerhaftes Konzept? Zumindest den Sport freut es jetzt schon: Offenbar haben noch weitere Sportarten für künftige Auflagen Interesse angemeldet.

Die müssen weg, die vielleicht nicht

Das Containerdorf für Geflüchtete am Tempelhofer Feld muss bis Ende 2019 abgebaut sein. Manche der „Tempohomes“ sollen aber bleiben und anders genutzt werden

Von Susanne Memarnia

Eines der umstrittensten Bauwerke der Stadt soll Ende 2019 verschwinden: das Containerdorf am ehemaligen Flughafen Tempelhof. Mit rund 1.000 Plätzen ist es Berlins größte Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. Aus Hunderten weißer Container sind hier 256 Kleinwohnungen mit Kochmöglichkeit entstanden, dazu gibt es eine Schule, drei Sportplätze, einen Waschsalon. Knapp 17 Millionen Euro hat der Bau gekostet, nach monatelanger Bauverzögerung konnte er erst im Dezember 2017 bezogen werden. Trotzdem muss er nun abgerissen werden: Das besagt das Tempelhofer-Feld-Gesetz.

Anfang 2016 hatte der Senat den Bau von 30 Containerdörfern für 15.000 Flüchtlinge beschlossen, vor allem für die etwa Zehntausend, die damals noch in Turnhallen leben mussten. Realisiert wurden am Ende 14, Kostenpunkt: rund 100 Millionen Euro. Rechnet man die damals schon bestehenden fünf Containerdörfer der ersten Generation hinzu, gibt es heute 19 dieser Unterkünfte im Stadtgebiet, in denen Mitte Dezember noch 5.600 Geflüchtete lebten.

Drei Containerdörfer stehen allerdings seit ihrer Errichtung leer, das Landesflüchtlingsamt hatte Probleme mit der europaweiten Ausschreibung. Zwei von ihnen, in Reinickendorf und Spandau, werden laut Sozialverwaltung seit Mitte Dezember bezogen. Für das dritte Conta­iner­dorf in der Neuköllner Karl-Marx-Straße handelt das Amt derzeit mit einem Betreiber den Vertrag aus.

Der Standort Tempelhofer Feld war politisch besonders heikel, weil dort nach dem per Volksentscheid erzwungenen Feld-Gesetz keine Bebauung erlaubt ist. Mit der Befristung der Bebauung, die im Februar 2017 ins Gesetz aufgenommen wurde, konnte die damals gerade ins Amt gekommene R2G-Koalition Kritiker aus den eigenen Reihen beruhigen.

Auch ein paar der anderen „Tempo­homes“, wie die Containerdörfer der zweiten Generation behördlicherseits genannt werden, um ihren temporären Charakter zu betonen, müssen in diesem Jahr schließen. Weitere folgen 2020. Denn auch für Bauten, die nach dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz gebaut wurden, das Bauvorschriften lockert, gilt eine Befristung von drei Jahren.

Allerdings wurden am Ende nicht alle Tempohomes mit diesem „Beschleunigungsgesetz“ gebaut. Und so gibt es beim Senat Überlegungen, ein paar der Containerdörfer doch länger stehen zu lassen und umzunutzen – etwa für die Kältehilfe. „Zurzeit laufen dazu noch Gespräche und Abstimmungen“, erklärt die zuständige Sozialverwaltung dazu.

Friede
dem Schloss

Pünktlich und im Kostenplan: Ende 2019 wird das Stadtschloss eröffnen. Soll man es künftig gern haben?

Von Susanne Messmer

Man ist das nicht gewohnt in dieser Stadt: Überall dauert alles länger und wird teurer, nur am Humboldt Forum, da wird tatsächlich Ende 2019 Eröffnung gefeiert – genau so, wie es seit Jahren geplant ist, und auch noch ziemlich exakt zu den anfangs errechneten Kosten.

Man könnte jetzt also all die Schlagwörter des jahrelangen Streits über das Berliner Stadtschloss noch mal hochkochen lassen: Mummenschanz und Disney World, Geschichtsklitterung und Preußen-Revival. Dieser Wilhelm von Boddien, Landmaschinenhersteller aus Schleswig-Holstein, hat es echt geschafft. Er hat in einer Art One-Man-Show die Ziele seines persönlichen Kalten Kriegs erreicht: die angebliche Wiedergutmachung des Schlossabrisses durch Walter Ulbricht 1950 und die Zerstörung jeder Erinnerung an die DDR an diesem Ort durch den Abriss des Palastes der Republik.

Dies endlich mal gut sein lassen und einfach neugierig sein – das wäre die andere Methode, mit der Eröffnung des Humboldt Forums umzugehen. Immerhin werden manche Besucher dort auf deutlich mehr Fläche Objekte wiedersehen, die sie seit der Schließung des Museums des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Dahlem vermisst haben – die berühmten Südseeboote zum Beispiel. Außerdem: Ums Forum herum wird sich viel verändern. Die Touristen werden zahlreicher werden und auch viele Berliner, die sich vielleicht nie nach Dahlem verirrt hätten, vielleicht nicht einmal nach Mitte ohne das Schloss, werden kommen.

Vor allem aber: Das Humboldt Forum hat bereits jetzt durch all die Diskussionen über sein Konzept auch hierzulande endlich eine Debatte angeschoben, bei der Deutschland bisher im internationalen Vergleich das Schlusslicht bildete. Es geht um die lange nicht erforschte Provenienz vieler Ausstellungsstücke und um Restitutionen, die längst überfällig sind.

Die Apokalypse droht nicht

Die kommenden Diesel-Fahrverbote werden symbolisch bleiben. Aber immerhin sind sie ein richtiges Symbol

Illustrationen: Karoline Löffler

Von Claudius Prößer

Sie sollen angeblich unser aller Freiheit beschneiden, basieren womöglich auf falschen Daten und sind inhaltlich sowieso totaler Quatsch: Kritiker haben die Diesel-Fahrverbote, die wohl ab Juli auf acht Berliner Straßen gelten werden, mehr als genug. Zuletzt wollte ein Rechtsanwalt nachweisen, dass die Messstellen für Luftschadstoffe, auf deren Ergebnissen die Verbote beruhen, falsch positioniert seien, was die Überschreitung der Grenzwerte erkläre. Und ein Lungenarzt behauptete gegenüber einer Zeitung, jeder Adventskranz produziere mehr Stickstoffdioxid als eine Verkehrsader ohne ausreichenden Luftaustausch.

Wie dem auch sei: Das Berliner Verwaltungsgericht hat im Oktober einer Klage der Deutschen Umwelthilfe stattgegeben und den Senat dazu verdonnert, den Luftreinhalteplan 2018–2025, an dem gerade getüftelt wird, mit Fahrverboten für Pkw und Lkw bis einschließlich Euro-5-Norm scharf zu machen. Die werden auf elf besonders stark belasteten Straßenabschnitten gelten – bis auf zwei in Reinickendorf und Tempelhof alle in Mitte. Wer künftig mit seinem Diesel in Nord-Süd-Richtung durch die Stadt will, kann auf der Friedrichstraße nicht mehr bei Dussmann vorbeituckern, in Ost-West-Richtung sind Teile der Leipziger Straße tabu.

Aber wie man es auch dreht und wendet, sosehr die Opposition auch apokalyptische Szenarien bemüht: Wirklich schlimm ist das alles nicht. Die elf Abschnitte summieren sich auf gerade mal einen Kilometer Länge, für viele der 200.000 in Berlin gemeldeten Diesel-Pkw wird es Ausnahmen geben, weil sie Handwerkerinnen, Altenpflegern oder Taxifahrenden gehören. Und abgesehen davon, dass die zum Teil nur einen Häuserblock langen Abschnitte leicht zu umfahren wären, dürften viele der Politik eine Nase drehen und es drauf ankommen lassen. Effektiv zu kontrollieren ist das Ganze nämlich nicht.

Die von Umweltorganisationen seit Langem geforderte „Blaue Plakette“ gibt es nicht, eine automatisierte Kontrolle mit Kameras wurde gerade vom Bundesrat abgelehnt und wäre unter dem rot-rot-grünen Senat ohnehin nicht durchsetzbar.

Die einzige gangbare Option – „händische“ Kontrollen durch die Polizei – ist extrem personalintensiv. Mehr als Stichproben wird es da kaum geben. Wenn dann auch noch das bei einem Verstoß fällige Bußgeld so läppisch ausfällt wie etwa in Hamburg (25 Euro), dürfte die gesamte Aktion mal wieder rein symbolisch gewesen sein. Wenigstens ist es ein richtiges Symbol.