die woche in berlin
: die woche in berlin

Law and Order gelten künftig immerhin für Hunde in der Laisser-faire-Metropole Berlin. Von der Verfolgung mancher Straftaten abzusehen, dazu rät hier ja selbst die Chefstaatsanwältin – es geht um’s Schwarzfahren. Bei der Suche nach neuen Räumen für das selbstverwaltete Jugendzentrum Potse sind zwar fast alle Beteiligten guten Willens – eine Lösung ist dennoch nicht in Sicht. Die gibt’s dagegen im, fast muss man sagen: Krimi um die Wohnungen an der Karl-Marx-Allee

Nicht mehr mitspielen müssen

In Berlin gilt seit Neujahr allgemeine Leinenpflicht

Es ist nun vorbei mit der Freiheit hier in der Stadt: Seit dem 1. Januar werden die Berliner nämlich in Ketten gelegt.

Gut, man muss in diesen Satz nach dem „Berliner“ noch „Hunde“ einfügen, und Ketten brauchen es keineswegs zu sein. Eine Leine tut es auch. Aber dennoch … atmen viele angesichts des eingeschränkten Freilaufs auf. Das werden vor allem solche sein, die sich gar nicht an das seit Dienstag geltende Gesetz halten müssen, nach dem ein Hund immer an der Leine zu führen ist. Weil sie halt keinen eigenen Hund, sondern immer nur mit den Hunden der anderen zu tun haben. Weswegen die allgemeine Leinenpflicht die Allgemeinheit betrifft.

Grundsätzlich ist man in Deutschland in Sachen Hund je nach Land oder Kommune bei den Gesetzen unterschiedlicher Ansicht. Dass in Berlin nun eine der strengsten Varianten gilt, kann man als ironische Law-and-Order-Wendung deuten in der Laisser-faire-Metropole. Wobei die Lässigkeit im Umgang mit Regeln am liebsten für sich selbst in Anspruch genommen wird. So geht es beim Hundegesetz eigentlich gar nicht um die Hunde. Es geht um die Hundehalter, die eben auch nur Menschen sind und deshalb zur Selbstüberschätzung neigen und glauben, dass sie sich und den Hund immer im Griff haben. Springt der Hund dann doch das Gegenüber an, heißt es: „Der will nur spielen.“

Ob man aber mitspielen will, wird man nie gefragt.

Natürlich gibt es Kritik am neuen Gesetz. „Überbürokratisiert“ sei es, und manche – die etwa einen sogenannten Hundeführerschein machen – sind dann doch wieder etwas gleicher und dürfen ihren Hund auch mal frei laufen lassen. Es gibt Lockerungen bei der Leinenpflicht, die aber im Grundsatz gilt. Man muss sich mit ihr also auseinandersetzen.

Jetzt kommt der Einwand, dass sich in Berlin doch eh niemand an Regeln hält, die sowieso nicht kontrolliert werden.

Was stimmt. Auf längere Sicht aber wirken Gesetze ins allgemeine Bewusstsein hinein. Ältere Berliner werden sich noch daran erinnern, dass eigentlich jedes Treten vor die Tür einst ein Hineintreten in einen Hundehaufen war. Mittlerweile tut man das doch deutlich weniger. Was nicht daran liegt, dass die Hunde nicht mehr scheißen würden. Es hat damit zu tun, dass wenigstens manche Hundehalter diese Hinterlassenschaften nicht mehr liegen lassen. Dürfen sie auch nicht mehr. Man hat es seufzend eingesehen.

Bewusstseinswandel ist selbst in Berlin möglich. Thomas Mauch

Aufatmen werden die, die keinen eigenen Hund, sondern immer nur mit den Hunden der anderen zu tun haben

Thomas Mauch zum neuen Hundegesetz

Es geht
um’s
Prinzip

Die Potse kämpft um eine bessere Zukunft

Man kann es für einen Kinderstreich halten, dass die Potse-Aktivisten die Schlüssel für ihre Räume nicht herausgerückt haben. Am 31. Dezember war der für Schönebergs Jugend verantwortliche Stadtrat Oliver Schworck (SPD) in die Potsdamer Straße 180 gekommen, um diese zu holen. Der Mietvertrag des Bezirks mit dem Hauseigentümer war abgelaufen. Die Schlüssel vom Jugendprojekt Drugstore aus demselben Gebäude sackte Schworck ein, die der Potse nicht.

Dabei war eigentlich schon lange klar, dass beide Jugendzentren nicht an diesem Standort bleiben können – und der Stadtrat war auf der Suche nach Ersatzräumen. Was er fand – in der Potsdamer Straße 134 –, hätte jedoch nicht für Musik und Konzerte genutzt werden können. Dafür wollte der Bezirk einen zweiten Raum finden.

Für Schworck schien die Sache damit alles in allem eingetütet. Umso überraschter zeigte er sich, als die Potse-Aktivisten die Schlüssel einfach behielten und in den alten Räumen blieben. Räumen lassen will der Stadtrat sie nicht – was er als Hauptmieter veranlassen könnte. Dass der Jugendstadtrat ernsthaft und engagiert Alternativen sucht, bestätigte auch Lukas Theune, der Rechtsanwalt, der die Potse-Aktivisten vertritt

Wieso dann der ganze Stress? Wohl weil es den Potse-Jugendlichen um’s Prinzip geht – um ihr Prinzip: Denn bei dem Schöneberger Jugendprojekt ging es immer um Selbstorganisation und Selbstverwaltung. Es geht auch um die Solidarität mit Freiräumen wie dem Syndikat oder der Liebig34, die ebenso ihre Schlüssel nicht abgeben wollen. Und am Ende geht es auch darum, dass selbst eine angemessene Alternative zu den jetzigen Räumen, wenn sie einmal gefunden ist, nichts an einer gegenwärtigen, äußerst fragwürdigen Entwicklung ändert: dass das Kapital entsprechend seiner Maxime des Profits alles Soziale nach und nach aus den Kiezen verdrängt.Volkan Ağar

Ein Sieg
für
die Mieter

Rekommunalisierung braucht Mitbestimmung

Es hat funktioniert. Mehr als genug MieterInnen der vom Kauf durch die Deutsche Wohnen betroffenen Häuser an der Karl-Marx-Allee haben entschieden, dem Immobilienkonzern ein Schnippchen zu schlagen. Indem sie ihre Wohnung per Vorkaufsrecht erst selbst erwerben und anschließend sofort an die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag weiterverkaufen, wird die Rekommunalisierung der 1993 privatisierten Blöcke Wirklichkeit. Der genaue Anteil der Mieter, die sich für diese Option entschieden, stand bis Redaktionsschluss noch nicht fest, auf jeden Fall aber sind es deutlich mehr als die 25,1 Prozent, die erforderlich sind, damit die Gewobag künftig über eine Sperrminorität verfügt.

Das ist ein Sieg für die Bezirks- und Landespolitiker von Linken und Grünen, die diese Lösung gegen den Koalitionspartner SPD durchgesetzt hatten – dass die Sozialdemokraten hier wieder einmal die Gelegenheit verpassten, Politik für ihre eigene Klientel zu machen, scheint schon kaum mehr der Rede wert. Das ist aber auch ein Sieg für die stadtpolitische Bewegung in Berlin, ohne deren Stärke ein Politiker wie Florian „Investorenschreck“ Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, gar nicht denkbar wäre. Und es ist ein Sieg für die MieterInnen der Karl-Marx-Allee, die sich zusammengeschlossen, protestiert und gekämpft haben und bereit sind, für die Rekommunalisierung ihrer Wohnungen ein Risiko einzugehen – gut möglich schließlich, dass ein jahrelanger Rechtsstreit mit der Deutschen Wohnen folgt.

Der hohe Organisationsgrad der Mieterschaft – seit Wochen ganz augenfällig an den Hunderten Transparenten und bunten Tüchern abzulesen, die die Blöcke rechts und links der einstigen sozialistischen Parademeile zieren – kommt nicht von ungefähr. Schon seit der Privatisierung 1993/1994 gibt es hier einen Mieterbeirat. Ohne das Vertrauen, das dieser in der Mieterschaft genießt, wäre es kaum möglich gewesen, so viele von dem komplizierten, mit Risiken behafteten Modell des gestreckten Erwerbs zu überzeugen.

Das zeigt: Für den Kampf gegen Gentrifizierung ist es nicht nur entscheidend, wem die Häuser gehören. Sondern auch, wie viel diejenigen mitbestimmen können, die drin wohnen. Rekommunalisierung allein schützt deswegen auch nicht dauerhaft die Interessen der Mieter – es braucht starke Selbstverwaltungsstrukturen, über die Mieter selbst für die Wahrung ihrer Interessen sorgen können. Diese Rekommunalisierung Plus, die etwa die Mieter-Initiative Kotti & Co schon seit Jahren fordert, ist das Rezept für die sozial gerechte Stadt von morgen. Malene Gürgen

Der Irrweg der Chefjuristin

Schwarzfahren ist für Koppers keine Straftat

Schwarzfahren abschaffen? Das wäre klasse: Keine kostspieligen Kontrollen wären mehr nötig und Einnahmeausfälle für die BVG und die S-Bahn gäbe es auch nicht mehr, wenn alle mit gültigen Fahrkarten unterwegs wären. Aber Generalstaatsanwältin Margarete Koppers, die oberste Strafverfolgerin Berlins, hat es diese Woche in einem Morgenpost-Interview leider anders gemeint: Nicht das Schwarzfahren will sie abschaffen, sondern den entsprechenden Tatbestand im Strafgesetzbuch, der dort in Paragraf 265a unter „Erschleichen von Leistungen“ läuft.

Koppers’ Ansatz: Schwarzfahren durch die Justiz verfolgen zu lassen belaste Polizei und Gerichte zu sehr und halte sie von wichtigeren Dingen ab. Das kann man so sehen – in der Wirtschaft spricht man von effizientem Ressourceneinsatz. Man kann aber – zugespitzt – auch sagen, dass das eine Kapitulation des Rechtsstaats wäre: Da nimmt eine Sache überhand, man kommt nicht mehr hinterher, also lässt man’s ganz. So wie eine Mannschaft ein Spiel gegen einen übermächtigen Gegner abschenkt, um ihre Kräfte für das nächste, aussichtsreichere Spiel zu schonen. Das mag im Sport gehen – in der Justiz wirft es die Frage auf: Was wird denn dann aus Personalmangel als Nächstes straffrei?

Koppers’ Modell sieht allein die Vorteile, die Justiz und Polizei hätten. Es ignoriert völlig, dass ohne Kontrollen und Strafen der Ticketkauf zur freiwilligen Leistung würde. Und da der Mensch, noch nicht mal der so titulierte von Sezuan, nicht durch und durch gut ist, wäre es nichts mehr mit den jährlich über 700 Millionen Euro, die allein die BVG durch den Fahrscheinverkauf einnimmt.

Diese 700 Millionen müssten künftig aus dem Landeshaushalt kommen, um BVG-Mitarbeiter zu bezahlen, Busse und Bahnen zu pflegen und neue zu kaufen. Ist ja nur knapp ein Fünfzigstel des in diesem Jahr 29 Milliarden Euro schweren Haushalts, könnte man sagen. Aber diese 700 Millionen finanzieren derzeit Dinge, die wichtiger sind als auskömmlich verdienende Berliner und Touristen gratis durch die Stadt zu fahren – Wenigverdiener zahlen ja bereits weniger bis gar nichts. Wenn schon Güterabwägung à la Koppers, dann bitte auch hier. Stefan Alberti